Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Hameln-Pyrmont | Patrozinium: Christus (seit 2018) | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Urkundlich ist der Ort erstmals im Jahr 1349 erwähnt: Gf. Heinrich VIII. von Schwalenberg († 1365) übertrug dat ghance dorp to luderinchtorpe an Gf. Hermann III. von Everstein († 1350).1 Die eversteinschen Besitzungen kamen 1408 an die Hzg. zu Braunschweig-Lüneburg (Fsm. Calenberg, 1495: Fsm. Calenberg-Göttingen, „Kernlande Hannover“, 1692: Kfsm. Braunschweig-Lüneburg bzw. Kurhannover). Lüntorf zählte zum Amt Grohnde, das den welfischen Herzögen bis 1619 als Pfandobjekt diente und erst dann in landesherrliche Verwaltung kam.2 In französischer Zeit zählte Lüntorf von 1810 bis 1813/14 zum Kanton Bodenwerder im Distrikt Rinteln des Leinedepartements im Kgr. Westphalen. Danach gehört das Dorf, nun im Kgr. Hannover, zum Amt Grohnde-Ohsen (1852: Amt Grohnde), das 1859 im Amt Hameln aufging. Mit der Annexion des Kgr. Hannover fiel Lüntorf 1866 an das Kgr. Preußen. Bei Einführung der Kreisverfassung kam der Ort 1885 zum Kr. Hameln, der 1922 im Lkr. Hameln-Pyrmont aufging. Seit 1973 gehört Lüntorf zur neugegründeten Gemeinde Emmerthal. Zur Sozialstruktur der KG schrieb der Ortspastor 1968: „Die alte Gemeinde Lüntorf ist Bauern- und Waldarbeitergemeinde. […] Seit dem Zustrom der Ostvertriebenen arbeitet ein Teil in der Industrie in Welsede, Emmerthal, Pyrmont oder Hameln.“3 Um 1810 lebten gut 330 Menschen in Lüntorf, 1939 etwa 420, 1946 fast 840 und 2017 rund 470.

Kirche, Ansicht von Nordwesten, Aquarell

Kirche, Ansicht von Nordwesten, Aquarell

Kirchlich gehörte Lüntorf ursprünglich zum Kirchspiel Ohsen. Das älteste Ausstattungsstück der Kirche stammt noch aus vorref. Zeit: Ein spätgotischer Flügelaltar, entstanden vermutlich im frühen 16. Jh. In den ersten protestantischen Visitationsberichten des 16. Jh. findet sich allerdings keine Erwähnung einer Kapelle oder Kirche in Lüntorf. Das heutige Kirchengebäude soll auf Initiative des Grohnder Drosten Statius von Münchhausen († 1633) im Jahr 1618 errichtet worden sein. Es hatte zunächst den Status einer Kapelle; das Dorf blieb weiterhin Teil des Kirchspiels Ohsen. Seit 1639 war der jeweilige Rektor der Schule in Grohnde gleichzeitig Kapellenprediger in Lüntorf. Jährlich fanden wohl sechs Gottesdienste in der Kapelle statt.4 Im Corpus Bonorum der Parochie Ohsen ist das Dorff Lüntorff 1734 als filia (Tochtergemeinde) verzeichnet.5 Im Jahr 1812 ließ die Gemeinde ihre Kapelle vergrößern (nach Osten verlängert) und ab 1818 hatte Lüntorf den Status einer eigenständigen Pfarrgemeinde. Erster Pastor der Gemeinde war P. Georg Carl Friedrich Schmidt (amt. 1818–1823).
Auch das neu eingerichtete Pfarramt Lüntorf blieb verbunden mit dem Amt des Schulrektors von Grohnde. Im Bericht über die Visitation 1861 sprach der Sup. der Insp. Börry, P. Daniel Isenberg (amt. 1860–1869), wegen dieser Verbindung von „den traurigen Pfarr-Verhältnissen“. Er fügte hinzu: „Die Entfernung von Grohnde nach Lüntorf beträgt 1½ Wegstunde und ist darum noch schwierig, da Lüntorf im Gebirge liegt, der Prediger also, wenn er den Weg zu Fuß machen will, dort erschöpft ankommt.“6 Für Seelsorge in Lüntorf bliebe keine Zeit und lediglich zu den sechs jährlichen Abendmahlsgottesdiensten blieb der Pastor auch am Nachmittag in Lüntorf – an den übrigen Sonntagen „muß derselbe sogleich zurückeilen, um des Nachmittags wieder in Grohnde die Kirche zu halten“.7 Die belastende Kombination der beiden Ämter ist auch daran ablesbar, dass während der nur knapp einhundertjährigen Eigenständigkeit der Pfarre Lüntorf insgesamt 15 Pastoren dort tätig waren.
Eine gewisse Veränderung brachte das 20. Jh.: Mit P. Karl Heinrich Wilhelm Nebel (amt. 1908–1913) endete die Verbindung von Rektoramt in Grohnde und Pfarramt in Lüntorf. Stattdessen richtete das Konsistorium Hannover eine neue Pfarrstelle in Grohnde ein und stellte eine pfarramtliche Verbindung zwischen beiden Orten her.8 Erster Inhaber des Pfarramts Grohnde-Lüntorf war P. Karl Friedrich Kreitz (amt. 1915–1931). Während der NS-Zeit war P. Richard Röver (amt. 1933–1949) in Grohnde und Lüntorf tätig. Er war seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP und gehörte kirchenpolitisch seit ihrer Gründung zur Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft (Vertrauensmann im KK Börry), wie er im „Fragebogen zur Geschichte der Landeskirche von 1933 bis Kriegsende“ rückblickend angab.9 Bei der Neuwahl des KV 1933 war der Wahlvorschlag der NSDAP-Ortsgruppe Lüntorf erfolgreich; drei der vier KV-Mitglieder gehörten der NSDAP an, unter ihnen der Ortsgruppenleiter und der Ortsbauernführer. Später habe dieser KV „geschlossen den Kurs der Bekenntnisgemeinschaft gesteuert“, wie P. Röver angab.10 Veranstaltungen der DC fanden in Lüntorf nicht statt. In der Nachkriegszeit stieg die Zahl der Gemeindeglieder in Lüntorf aufgrund des Zuzugs Geflüchteter stark an (1942: 400, 1948: 650).11

Flügelaltar, geöffneter Zustand, 1936

Flügelaltar, geöffneter Zustand, 1936

In den 1950er Jahre knüpften die beiden Gemeinden Grohnde und Lüntorf im Rahmen der Partnerschaft zwischen der hannoverschen und der sächsischen Landeskirche Kontakte zur Kirchgemeinde Ostritz (zwischen Zittau und Görlitz).12 Die gemeinsame Pfarrstelle der beiden Gemeinden wandelte das LKA Hannover zum 1. Februar 2000 in eine halbe Stelle um.13 Im Jahr 2018, anlässlich der 400-Jahrfeier des Kirchengebäudes, erhielt die Lüntorfer Kirche den Namen Christuskirche.
Seit Januar 2013 waren die KG Grohnde und Lüntorf pfarramtlich verbunden mit den Gemeinden Börry, Esperde, Frenke, Hajen und Ohsen (Verbundenes Pfarramt in Emmerthal bzw. Verbundenes Pfarramt Ohsen). Zum 1. Januar 2022 gründete sich dann das Verbundene Pfarramt Emmer-Wesertal, zu dem alle Gemeinden der Region 5 des KK Hameln-Pyrmont gehören: Afferde, Börry, Esperde, Frenke, Grohnde, Hajen, Hämelschenburg, Hastenbeck-Voremberg, Lüntorf, Ohsen und Tündern.14 Die Gemeinden wollen inhaltlich und personell zusammenarbeiten; der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus 14 Delegierten der Gemeinden und drei Pastor*innen, leitet den Pfarrverbund. Lüntorf gehört zum Pfarrbezirk Ohsen (ehemals Verbundenes Pfarramt Ohsen).
Lüntorf liegt am 2005 eröffneten Pilgerweg Loccum–Volkenroda.15

Umfang

Lüntorf.

Aufsichtsbezirk

Mit Gründung der Parochie Lüntorf 1819 zur Insp. Börry, 1823 zur Insp. Groß Berkel, 1844 wieder zurück zur Insp. Börry (1924: KK). 1947 ging der KK Börry im neuen KK Bodenwerder auf.16 1999 kam Lüntorf zum KK Hameln-Pyrmont.17

Patronat

Der Landesherr (bis 1871).

Kirchenbau
Kirche, Grundriss, 1937

Kirche, Grundriss, 1937

Rechteckige Saalkirche, erbaut 1618, vergrößert 1812. Satteldach mit Krüppelwalm im Osten und Uhrerker nach Norden. Verputztes Bruchsteinmauerwerk, Ostgiebel aus Fachwerk, Westgiebel mit Schieferbehang. Südseite mit drei rechteckigen und einem flachbogigen Sprossenfenster sowie einem kleineren Flachbogenfenster im Westen; Nordseite mit vier flachbogigen Sprossenfenstern sowie zwei übereinanderliegenden kleinen Flachbogenfenstern im Westen; Ostseite mit zwei flachbogigen Sprossenfenstern; Rechteckportal nach Norden, darüber Inschriftenstein „1618“; an der Nordwand des Chors Inschriftenstein „1812“. Vermauerte Südtür. Im Innern flache Balkendecke, Westempore; zwei Dachreiterstützen im Westen. 1812 Kirche um eine Fensterachse nach Osten verlängert. 1934 Renovierung. 1964/65 Renovierung (u. a. Kanzel versetzt, Nordempore entfernt). 1975 Neudeckung Dach. 1985 Innenrenovierung. 1999 Außensanierung.

Turm

Im Westen achtseitiger, verschieferter Dachreiter mit achtseitigem Pyramidenhelm, bekrönt mit Kugel, Kreuz und Wetterhahn. Zwei rechteckige Schallfenster nach Süden und zwei nach Norden. 1883 Turmuhr (J. F. Weule, Bockenem). 1929 Schieferdeckung (vorher Holzschindeln). 1975 Neudeckung.

Flügelaltar, geschlossener Zustand, 1936

Flügelaltar, geschlossener Zustand, 1936

Ausstattung

Blockaltar (gemauerter, verputzter Stipes; moderne Sandsteinmensa) mit spätgotischem Flügelretabel (um 1520, Tempera auf Holz), im Hauptfeld Kreuzigungsszene, im linken Flügel oben Ecce homo, unten Geißelung Christi, im rechten Flügel oben Kreuzabnahme, unten Grablegung; auf den Außenseiten der Flügel links St. Barbara und St. Dorothea, rechts St. Katharina und St. Ursula; 1913 Restaurierung (Reinhold Ebeling, Hannover). – Leicht erhöhte Holzkanzel (um 1620) mit polygonalem Kanzelkorb; zeitweise oberhalb des Altars hinter dem Flügelretabel angebracht (noch 1936). – Holztaufe mit Deckel (vielleicht um 1620), achtseitiges, kelchförmiges Becken; vierseitiger Fuß, der sich nach oben zu einem Achteck verjüngt; vierseitiger Wulst zwischen Becken und Fuß.

Orgel

1879 Orgelneubau, ausgeführt von Ph. Furtwängler & Söhne (Elze), 9 (davon zwei Transmissionen) II/aP, mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 177).18 2007 restauriert von Martin Wurm (Wilhelmshaven). Denkmalorgel.

Geläut

Eine LG, h’ (Bronze, Gj. 1897, Johann Jakob Radler, Hildesheim), Inschrift „[…] gegossen von Radler & Söhne in Hildesheim 1897“.

Friedhof

Kirchlicher Friedhof bei der Kirche.

Liste der Pastoren (bis 1940)

1818–1823 Georg Carl Friedrich Schmidt. – 1823–1828 Johann Ferdinand Andreas Brauns. – 1828–1833 Georg Friedrich Christian Ferdinand Hünnecken. – 1833–1836 August Wilhelm Neimke. – 1836–1847 Karl Heinrich Friedrich Stegmann. – 1848–1859 Heinrich Otto Schaefer. – 1859–1867 Friedrich Ludwig Hermann Meyer. – 1867–1871 Ludwig August Wilhelm Schumann. – 1872–1874 Oswald Julius Gustav Adolf Freybe. – 1874–1877 Friedrich August Theodor Wedemeyer. – 1878–1882 Friedrich Wilhelm Beer. – 1887–1896 Heinrich Friedrich Wilhelm Reinecke. – 1896–1901 Heinrich Emil Gustav Ahlers. – 1902–1908 Heinrich Ferdinand Adolf Friedrich Degener. – 1908–1913 Dr. phil. Karl Heinrich Wilhelm Nebel.

Angaben nach: Meyer, Pastoren II, S. 111

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 1 Nr. 7421–7422 (Pfarroffizialsachen); A 5 Nr. 84 (Spec. Landeskons.); A 6 Nr. 5249–5265 (Pfarrbestallungsakten); A 9 Nr. 1483Digitalisat, 1484Digitalisat, 1485Digitalisat, 1486Digitalisat, 1487Digitalisat, 1488Digitalisat, 1489Digitalisat (Visitationen); D 9 (EphA Hameln-Pyrmont); D 25 (EphA Bodenwerder); L 5a Nr. 1780 (LSuptur. Calenberg-Hoya mit Verden-Hoya und Celle); S 09 rep Nr. 1199 (Presseausschnittsammlung); S 11a Nr. 7212 (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: ab 1819
Trauungen: ab 1819
Begräbnisse: ab 1819
Kommunikanten: ab 1819 (Lücken: 1874)
Konfirmationen: ab 1819 (Lücken: 1872)
Vorher im Kirchenbuch von Kirchohsen.

Literatur & Links

A: Bühring, KD Lkr. Hameln-Pyrmont, S. 387–392; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 911; Hölscher, Leben, S. 124–133; Köhler & Gelderblom, Dorfkirchen, S. 135–137; Meyer, Pastoren II, S. 111.

Internet: Bildindex der Kunst & Architektur: Kirche.


Fußnoten

  1. Sudendorf, UB II, Nr. 330. Siehe auch Ohainski, Lehnregister, S. 36 (9) und S. 58 (26).
  2. Berner, Amt Grohnde, S. 15.
  3. LkAH, L 5h, unverz., Grohnde-Lüntorf, Visitation 1968.
  4. Hölscher, Leben, S. 124.
  5. LkAH, A 8, Nr. 217, Bl. 2v.
  6. LkAH, A 9, Nr. 1484, Bl. 8.
  7. LkAH, A 9, Nr. 1484, Bl. 9. Der Bericht fährt fort mit dem Hinweis: „Ueber diese Verhältnisse sind Stöße von Acten geschrieben, es ist auch von uns, den unterzeichneten Kirchen-Commissarien ein eingehender Bericht gefordert und Königlichem Consistorium zugesandt, und können wir den Wunsch nicht unterdrücken, daß doch endlich die Grohnde-Lüntorf-Angelegenheit geordnet werden möge.“
  8. KABl. 1914, S. 62.
  9. LkAH, S 1 H III, Nr. 111, Bl. 8. Der NSDAP sei er beigetreten, schrieb P. Röver, „Einerseits auf Grund der Versprechungen, den neuen Staat auf christlicher Grundlage zu bauen, andererseits um den Einfluss der christlichen Kreise auf die Entwicklung der Dinge zu stärken“ (ebd.). Allgemein zum Fragebogen: Kück, Ausgefüllt, S. 341 ff.
  10. LkAH, S 1 H III, Nr. 111, Bl. 9.
  11. LkAH, L 5h, unverz., Grohnde-Lüntorf, Visitationen 1942 und 1948.
  12. LkAH, L 5h, unverz., Grohnde-Lüntorf, Visitation 1957. Allgemein: Cordes, Gemeindepartnerschaften, S. 38 ff.
  13. KABl. 2000, S. 17.
  14. Siehe: https://region5.kirche-hameln-pyrmont.de/, 28.06.2022.
  15. Siehe: https://www.loccum-volkenroda.de, 06.05.2022.
  16. KABl. 1947, S. 13.
  17. KABl. 1998, S. 213 f.
  18. Pape/Schloetmann, Hammer, S. 96.