Frühere Gemeinde | Sprengel Osnabrück, KK Osnabrück | Patrozinium: Melanchthon | KO: Osnabrücker KO von 1652
Orts- und Kirchengeschichte
Die Melanchthongemeinde im Südwesten von Osnabrück umfasste im Wesentlichen den Stadtteil Kalkhügel und die ehemalige Bauerschaft Nahne. Nahne lässt sich urkundlich erstmals im Jahr 1147 als Noan nachweisen.1 Der Ort zählte seit Ende des 14. Jh. zum Amt Iburg des Hochstifts Osnabrück, die Kernsiedlung unterstand jedoch dem Gericht der Osnabrücker Neustadt.2 Seit 1814 gehörte Nahne zum Amt Osnabrück, zunächst im Kgr. Hannover und seit 1866 im Kgr. Preußen. Bei Einführung der Kreisverfassung kam der Ort 1885 zum Kr. Osnabrück und wurde 1972 in die Stadt Osnabrück eingemeindet. Im Bereich Kalkhügel entstanden erste Bauten in der zweiten Hälfte des 20. Jh. Die General-Martini-Kaserne der Bundeswehr wurde 2002 aufgegeben. Mitte der 1960er Jahre schrieb der Ortspfarrer, die „überwiegende Mehrheit der Gemeinde wird von der Arbeiterschaft, Angestellten, unteren und mittleren Beamten gestellt“.3 In Nahne lebten 1821 knapp 300 Menschen, 1885 gut 440 (davon 25 ev.), 1939 etwa 1.230, 1961 rund 2.170 und 2016 gut 2.220. In Kalkhügel lag die Bevölkerungszahl 1961 bei knapp 6.900, 2016 bei gut 6.100.
Kirchlich zählte die Bauerschaft Nahne seit 1147 zum Kirchspiel der Stiftskirche St. Johann.4 Der Ort blieb bis ins 20. Jh. hinein ganz überwiegend kath., erhielt 1965 eine eigene Kirche (St. Ansgar) und 1966 einen eigenen kath. Pfarrer. Im Stadtteil Kalkhügel baute die kath. Gemeinde die Piuskirche und wurde 1961 selbständig. Die ev. Einwohnerinnen und Einwohner Nahnes und des Kalkhügels zählten seit 1885 zur Osnabrücker Katharinenkirche und gehörten dort seit 1909 zum Bezirk der Lutherkirche, der 1927 verselbständigt wurde. Einige Häuser Nahnes kamen 1957 zur Margaretengemeinde Voxtrup.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre begannen in der Luthergemeinde die Planungen für den Bau einer Kirche im Stadtteil Kalkhügel (Grundstückserwerb 1957). Mit Blick auf die Gründung einer neuen KG erhielt die Luthergemeinde 1959 eine dritte Pfarrstelle, die P. Klaus Künkel (amt. 1959–1963) übernahm.5 Im November gründete sich ein Kirchenbauverein und am Himmelfahrtstag 1960 feierte die zukünftige Gemeinde einen ersten Gottesdienst am geplanten Standort der Kirche.6 Auch nachdem sich die Melanchthongemeinde zum 1. Januar 1962 gegründet hatte, fehlte ihr zunächst noch ein gottesdienstlicher Raum.7 Im Juli 1962 konnte sie die Einweihung des Gemeindehauses feiern, in dessen Saal nun regelmäßige Sonntagsgottesdienste stattfanden. Den Grundstein für die Kirche legte LSup. Kurt Degener am 8. April 1962; am 8. September 1963 versammelte sich die Gemeinde zum Einweihungsgottesdienst. Aufgrund der Bundeswehrstandorte im Gemeindegebiet hatte die Gemeinde für den Bau der Kirche „einen beträchtlichen Zuschuß“ aus Bundesmitteln erhalten.8 Über Gestalt und Aussehen des Gotteshauses hatten KV und Architekten lange beraten. Der dritte Entwurf wurde schließlich verwirklicht. Er basierte auf einem „roh hingeworfenen Grundriß, nicht für uns bestimmt“, den P. Künkel auf einem Zeichentisch im Büro des Architekten entdeckt hatte.9 Ein Jahr nach Fertigstellung der Kirche eröffnete die Gemeinde auch einen ev. Kindergarten.10
Seit der ersten Hälfte der 1970er Jahre fanden in der Melanchthongemeinde, ebenso wie in den Gemeinden Jakobus, Michaelis und Paul Gerhardt, mehrere „Politische Nachtgebete“ statt, die sich mit der Situation in Chile, in Südafrika und dem Iran beschäftigten. Von 1977 bis 1982 gaben die vier Gemeinden die Monatszeitschrift „Osnabrücker Kirchen-Report“ heraus.11 P. Joachim Ohliger (amt. 1969–1992) und der Studentenpfarrer Velten Seifert (amt. 1968–1977), der als Pfarrer der Landeskirche auch in der Melanchthongemeinde tätig war, waren beide in der „Freien Osnabrücker Pfarrkonferenz“ (FOP) aktiv, die der Kirchenleitung kritisch gegenüberstand.12 Dieses politische Engagement führte bis in die 1980er Jahre hinein zu Spannungen und Spaltungen innerhalb der Gemeinde sowie zwischen Pfarramt und KV. Anlässlich der Visitation 1974 beklagten sich Gemeindeglieder darüber, dass in der Melanchthongemeinde „unter einseitigen politischen Gesichtspunkten die Verkündigung des Evangeliums verkürzt würde, daß dadurch Menschen, die politisch anders denken, vor den Kopf gestoßen werden und sich in zunehmendem Maße vom gottesdienstlichen und sonstigen Gemeindeleben“ zurückziehen.13 Im Laufe der 1970er Jahre traten mehrere Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher zurück. Zum Ende seiner Amtszeit fand Sup. Eckhard Pfannkuche 1979 unversöhnliche Worte für die Entwicklung der Gemeinde: Sie sei „Opfer ideologischer Kaderbildung“ geworden und das Pfarramt habe einen „marxistischen Kurs“ gesteuert.14 Mitte der 1980er Jahre hatten sich nach Eindruck des Visitators die verhärteten Verhältnisse in der Gemeinde zu einem gewissem Grade entspannt: „Viele haben sich zurückgezogen, weil in dieser Gemeinde zuviel Politik gemacht wurde. Andere haben sich vom Pastor überzeugen lassen, daß es die Pflicht der Kirche sei, zu mahnen und zu warnen an solchen Stellen, wo es ganz offensichtlich Unrecht in unserem Land gäbe“ notierte der Sup. in seinem Bericht.15
Seit Mitte der 1990er Jahre bildete die Melanchthongemeinde zusammen mit den Gemeinden Luther, Margareten und Lukas die Region Süd-Ost des KK Osnabrück. Angesichts der Reduzierung von Pfarr- und Diakonenstellen kooperierten die vier Gemeinden u. a. beim Konfirmandenunterricht und in der Jugendarbeit. Ihre wachsende Zusammenarbeit mündete 2009 in die Fusion zur „Ev.-luth. Südstadt-Kirchengemeinde in Osnabrück“.16 Die denkmalgeschützte Melanchthonkirche wurde am 1. Februar 2015 entwidmet. Danach diente sie zeitweise dem Osnabrücker Theater als Spielort und beherbergte von 2016 bis 2018 das Osnabrücker Kleiderlager (Freiwilligenprojekt zur Unterstützung von Geflüchteten und anderen Bedürftigen).
Umfang
Der Osnabrücker Stadtteil Kalkhügel, südwestliche Teile des Stadtteils Schölerberg, Nahne.
Aufsichtsbezirk
Mit Gründung der KG 1962 zum KK Osnabrück.
Kirchenbau
Ovaler Bau mit nach Osten hin ansteigendem Flachdach, Grundriss erinnert an Schneckenhaus, erbaut 1962/63 (Architekten: Heinz C. Däke †, Hans Pause, beide Osnabrück).17 Ziegelmauerwerk, weiß geschlämmt; großflächige Fenster nach Süden, ein Fenster nach Norden (Taufkapelle); Portal nach Westen, darüber Betonwabenfenster. Im Innern weiß geschlämmte Wände, holzverschalte Decke; Bänke in drei Blöcken; Empore im Nordwesten, darunter Taufkapelle.
Fenster
Große, abstrakte Betonglasfenster im Kirchenschiff; Tauffenster nach Norden (Johannes Schreiter, Georg Höge, beide Bremen). Bodentiefes Betonwabenfenster im Altarraum.
Turm
Leicht querrechteckiger Turm im Westen, an nördlicher Ecke von hohem Betonkreuz überragt; große Schallfenster nach Nordwesten und Südosten, Schallschlitze nach Nordosten und Südwesten.
Die 2015 entwidmete Kirche steht unter Denkmalschutz und wurde 2019 verkauft.
Ausstattung
Hauptausstattungsstücke entworfen von Bildhauer Heinz Heiber (Nürnberg): Schlichter Blockaltar (Sichtbeton), vier Antependien (Email und Glas). – Bronzekruzifix vor Altarwand.18 – Niedrige Kanzel (Sichtbeton) mit Bronzerelief (Taube und Flammenzungen). – Schlichte Betontaufe (Georg Höge, Bremen). – Bronzene Türgriffe mit Szenen aus AT und NT.
Orgel
Neubau 1967, ausgeführt von Firma Gebrüder Hillebrand, 21 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. Instandsetzung 1987. 2019 für einen Euro verkauft an die Auferstehungsgemeinde Wissingen.
Geläut
Vier LG, I: h, Inschrift: „König der Könige, Herr der Herrscharen“; II: d’, Inschrift: „Zu uns komme dein Reich“; III: es’, Inschrift: „Dienet dem Herrn mit Freuden“; IV: fis’, Inschrift: „Bete und arbeite“ (alle Stahl, Gj. 1961, Bochumer Verein), Glocken nicht speziell für Melanchthongemeinde gegossen. Geläut 2019 zum Selbstkostenpreis verkauft an die „Klosterkirche zur Allerheiligen“ in Bila Tserkva, Oblast Transkarpatien (Ukraine).
Weitere kirchliche Gebäude
Pfarrhaus (Bj. 1961). – Gemeindehaus (Bj. 1962). – Kindergarten (Bj. 1964).
Friedhof
Kein kircheneigener Friedhof.
Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)
E 9 Nr. 710–713 (Amt für Bau- und Kunstpflege); L 5f Nr. 319–320, 322, 934 (LSuptur. Osnabrück).
Literatur
A: Frenzel & Kuhl, Architekturführer, S. 116; Poppe-Marquard, Kirchenchronik, S. 224–228; Weichsler, Hdb. Sprengel Osnabrück, S. 27; Wrede, Ortsverzeichnis Fürstbistum Osnabrück II, S. 115 (Kalkhügel), 59–60 (Nahne).
B: Festschrift zur Einweihung der evangelisch-lutherischen Melanchthonkirche Osnabrück Bergerskamp am 8. September 1963, hrsg. von der ev.-luth. Gemeinde der Melanchthonkirche Osnabrück, Osnabrück 1963; Carsten Linden: Die „Freie Osnabrücker Pfarrkonferenz“ (FOP), in: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2019, S. 204–210; Otto Meyer: Die Freie Osnabrücker Pfarrkonferenz: Einübung in Befreiungstheologie vor Ort – eine persönliche Erinnerung, in: Kirche in bewegten Zeiten. Proteste, Reformen und Konflikte in der hannoverschen Landeskirche nach 1968, hrsg. von Heinrich Grosse, Hans Otte und Joachim Perels, S. 383–399.
Fußnoten
- Osnabrücker UB I, Nr. 276.
- Wrede, Ortsverzeichnis Fürstbistum Osnabrück II, S. 59.
- LkAH, L 5f, Nr. 19 (Visitation 1966).
- Osnabrücker UB I, Nr. 276.
- KABl. 1959, S. 105.
- Festschrift, S. 6 f.
- KABl. 1962, S. 4 f.
- Festschrift, S. 5. LkAH, B 2 G 9/Melanchthon Osnabrück Bd. I, Bl. 80: 112.860 DM Zuschuss und 78.140 DM Darlehen für Kirche und Gemeindehaus bewilligt, die Gesamtkosten lagen bei gut 750.000 DM (ebd., Bl. 90).
- Festschrift, S. 15 (Abb. der Skizze ebd., S. 14).
- Koch, Heimat, S. 93 f.
- Seit 1984 erschien der „OSKI“ erneut, allerdings in verminderter Auflage, vgl. Jakobus Gemeindebrief 11, S. 8 (Digitalisat: https://www.jakobus-os.de, 10.04.2019).
- Zur FOP vgl. Meyer, S. 383 ff.; einige Stichworte bei Linden, S. 204 ff.
- LkAH, L 5f, Nr. 19 (Visitation 1966).
- LkAH, L 5f, Nr. 322 (Memorandum: Die Lage der Melanchthongemeinde in Osnabrück im Licht der Entwicklung der sog. „Freien Osnabrücker Pfarrkonferenz“). Von 1963 bis 1968 war Sup. Pfannkuche selbst Pfarrer an der Melanchthonkirche gewesen.
- LkAH, L 5f, Nr. 320 (Visitation 1986).
- KABl. 2008, S. 251 f.
- Frenzel & Kuhl, Architekturführer, S. 116. Nach Frenzel & Kuhl besticht der Bau „durch eine klare Schlichtheit“ (ebd.). Poppe-Marquard, Kirchenchronik, S. 228, charakterisiert die Melanchthonkirche als „ein beachtenswertes, modernes, eigenwilliges und formschönes Gotteshaus“. Sup. Hans Wenschkewitz beurteilte die Wirkung des Baus als zwiespältig und empfand die „Zementklötze, die als Altar, Kanzel oder Ähnliches dienen wollen, unschön […]. Ebensowenig findet der Visitator einen Kirchenboden aus Waschbeton schön.“, LkAH, L 5f, Nr. 19 (Visitation 1966).
- Das Kruzifix löste „sehr viel Diskussion in der Öffentlichkeit aus“, LkAH, L 5f, Nr. 19 (Visitation 1966). Vgl. auch ebd., Nr. 934.