Frühere Gemeinde | Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Hildesheimer Land-Alfeld, Amtsbereich Alfeld | Patrozinium: Petrus und Paulus1 | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Die früheste schriftliche Erwähnung des Dorfes findet sich als Scellenstide in einer Urkunde, mit der angeblich Ks. Heinrich II. im Jahre 1022 die Besitztümer und Rechte des Hildesheimer Klosters St. Michael bestätigt haben soll. Bei dem Schriftstück handelt es sich jedoch um eine Fälschung des frühen 12. Jh., die inhaltlich allerdings verlässlich erscheint.2 Auch im 14. Jh. besaß das Michaeliskloster noch Land in Czellenstede.3 Wesentliche Grundbesitzer, Inhaber des Rittergutes und der niederen Gerichtsbarkeit waren jedoch die Herren von Sellenstedt, die ihre Sellenstedter Güter als Lehen der Reichsabtei Gandersheim besaßen. Als sie 1503 in männlicher Linie ausstarben, ging ihr Besitz in Sellenstedt an die Herren von Rauschenplat über.4 Die höhere Gerichtsbarkeit lag beim Amt Winzenburg des Hochstifts Hildesheim. Nach Ende der Hildesheimer Stiftsfehde (1519–1523) ging die Landesherrschaft über auf Hzg. Heinrich den Jüngeren, Fs. von Braunschweig-Wolfenbüttel, der zudem den Besitz der Herren von Rauschenplat für einige Zeit einzog, da sie in der Stiftsfehde auf Seiten des Bf. gestanden hatten.5 Im Winzenburger Erbregister von 1578 heißt es: „Der Adliche Sitz Sellenstedt sambt dem Dörffe gehört den Ruscheplaten, haben das Unter Gerichte in und 120 Werckschuehe außerhalb dorffes“.6 Mit der Restitution des Großen Stiftes im Jahre 1643 kehrte die Landesherrschaft über Sellenstedt wieder zurück in die Hände des Bf. von Hildesheim. Nach den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 fiel das Gebiet des Hochstifts an das Kgr. Preußen. Von 1807 bis 1813 gehörte Sellenstedt im französischen Satellitenkgr. Westphalen zum Kanton Bodenburg im Distrikt Hildesheim des Departements Oker. In dieser Zeit verkaufte die Familie von Rauschenplat das Gut Sellenstedt an den Hildesheimer Bgm. Christoph Friedrich Lüntzel, der es 1837 wiederum an die Herren von Steinberg veräußerte. Im Jahr 1815 kam der Ort, nun im Kgr. Hannover, wieder zum Amt Winzenburg, das 1828 im Amt Bilderlahe aufging (1852 umbenannt in Amt Lamspringe), welches wiederum 1859 in das Amt Alfeld eingegliedert wurde. Nach der preußischen Annexion von 1866 blieb die Ämterstruktur zunächst bestehen und 1885 kam Sellenstedt zum neuen Lkr. Alfeld (1977 Lkr. Hildesheim). Das Rittergut Sellenstedt wurde 1928 aufgelöst und verkauft. 1974 wurde das Dorf nach Adenstedt eingemeindet, das kurz darauf der Samtgemeinde Sibbesse beitrat (2016 in Gemeinde Sibbesse umgewandelt). 1810 und 1925 zählte Sellenstedt jeweils gut 225 Einwohner. Mit der Unterbringung Geflüchteter nach Ende des Zweiten Weltkriegs stieg die Bevölkerungszahl stark an, 2014 lag sie dann bei gut 200.

Kirche, Ansicht von Nordwesten, um 1960

Kirche, Ansicht von Nordwesten, um 1960

Die Kirche in Sellenstedt wird schriftlich erstmals im Jahr 1350 genannt (ecclesie in Tzellenstede).7 Das Patrozinium Peter und Paul lässt sich 1507 belegen.8 Der letzte kath. Priester und vermutlich gleichzeitig erste luth. Pfarrer trat sein Amt 1531 an: rector ecclesiae Henricus Berchmann.9 Als Sellenstedt 1542 die erste Einführung der Reformation erfuhr, war Bergmann noch Inhaber der Pfarre. Die Truppen des Schmalkaldischen Bundes hatten in diesem Jahr den kath. Hzg. Heinrich den Jüngeren aus dem Fsm. Braunschweig-Wolfenbüttel vertrieben. Eine Statthalterregierung, eingesetzt von Lgf. Philipp von Hessen und Kfs. Johann Friedrich von Sachsen, machte sich daran, das besetzte Fsm. zu reformieren: 1542 ordnete sie eine Visitation der Gemeinden an, 1543 erließ sie die Christlike kerken-ordening im lande Brunschwig, Wulffenbüttels deles und 1544 sandte sie erneut Visitatoren in die Gemeinden.10 Die Protokolle der Visitationen von 1542 und 1544 nennen jeweils Heinrich Bergmann als Pfarrer in Sellenstedt und die Herren von Rauschenplat als Patrone.11 1547 kehrte Hzg. Heinrich der Jüngere nach Wolfenbüttel zurück und versuchte in den folgenden Jahren sein Fsm. zu rekatholisieren. Sein Sohn und Nachfolger Hzg. Julius jedoch, der 1568 die Regierung übernahm, führte im gleichen Jahr erneut die luth. Lehre ein, ließ die Gemeinden und ihre Pfarrer wiederum visitieren und verkündete 1569 die später sogenannte Calenberger Kirchenordnung.12 Inhaber der Pfarrpfründe (verus pastor) war 1568 „der Junckher Herman Rauscheplat“, also der Patron selbst. Den Pfarrdienst versah Heinricus Köhler (amt. 1568 bis etwa 1575) als mercenarius (Mietling). Seine theologischen Kenntnisse beurteilten die Visitatoren als gerade noch erträglich (vix tollerabilis) und den Gottesdienst feierte er noch nach kath. Ritus (celebravit).13 Mit der Rückkehr unter die Herrschaft des Bf. von Hildesheim im Jahr 1643 ging kein erneuter Bekenntniswechsel einher: Sellenstedt war nun ein luth. Dorf mit einem kath. Landesherrn.

Kirche, Blick zum Altar, um 1960

Kirche, Blick zum Altar, um 1960

Die Gemeinde in Sellenstedt hatte nur selten einen eigenen Pfarrer; in der Regel versorgte ein Pastor aus einem der Nachbarorte das kleine Dorf mit: 1614 bis 1659 der Pfarrer von Adenstedt, 1659 bis 1676 der von Breinum und 1676 bis 1698 wieder der Adenstedter. Aus dieser Zeit ist erstmals der Name eines Dorflehrers überliefert (1685, Hermann Margreve).14 Bis 1726 war der Pfarrer von Almstedt gleichzeitig für Sellenstedt zuständig, bis 1750 der Sehlemer. In einer Beschreibung der luth. Dörfer im Hochstift Hildesheim heißt es 1730 über Sellenstedt „Unterdessen sind die Intraden alhie schlecht, weß wegen auch die Pfarre mit andern Kirchen öffters Conjungiret werden müssen.“15 Mit P. Johann Julius Struve (amt. 1750–1757) und P. Julius Daniel Wicke (amt. 1757–1775) hatte das Dorf noch einmal zwei eigene Seelsorger, bevor es bis 1798 wieder von Adenstedt, bis 1841 von Sehlem und seitdem dauerhaft von Adenstedt aus betreut wurde. Seit 1866 war Sellenstedt pfarramtlich mit Adenstedt verbunden (mater combinata); bei der Besetzung der Pfarrstelle sollten sich das Konsistorium, die Gemeinde Adenstedt und der Patron von Sellenstedt abwechseln.16
Zum 1. Oktober 1999 wurde die pfarramtliche Verbindung um die Martins-KG Wrisbergholzen erweitert17 und zum 1. Januar 2008 schlossen sich die Gemeinden, Sellenstedt, Wrisbergholzen und Adenstedt zur neuen Ev.-luth. Martin-Luther-KG Adenstedt-Wrisbergholzen zusammen.18

Umfang

Das Dorf Sellenstedt.

Aufsichtsbezirk

Archidiakonat Adenstedt der Diözese Hildesheim.19 – Um 1542/44 zur Insp. Alfeld, 1569 zur Insp. Dietrichholtensen (Wrisbergholzen).20 Ab 1651/52 Spezialinsp. des GSup. Alfeld (Insp. Alfeld). 1829 zur kurzlebigen Insp. Wrisbergholzen, dann wieder Alfeld. 1869 zur neu gebildeten Insp. Breinum, die bis 1872 von Alfeld aus verwaltet und dann nach dem neuen Sitz der Suptur. in Insp. (1924: KK) Wrisbergholzen umbenannt wurde. KK ab 1925 unter Verwaltung des Bockenemer Sup., 1927 Suptur. mit Pfarrstelle Sehlem verbunden, ab 1936 von Alfeld verwaltet, 1941 mit KK Alfeld vereinigt.21

Patronat

Die Eigentümer des Gutes Sellenstedt: im 15. Jh. die Familie von Sellenstedt,22 1503 in männlicher Linie ausgestorben, dann vom 16. bis zum Anfang des 19. Jh. die Herren von Rauschenplat, seit der Zeit des Kgr. Westphalen Christoph Friedrich Lüntzel, ab 1837 die Familie von Steinberg, ab 1911 die Familie von Cramm (bis 1929).23

Kirchenbau
Kirche, Grundriss, vor 1929

Kirche, Grundriss, vor 1929

Rechteckiger, verputzter Bruchsteinbau mit Eckquaderung, erbaut 1648/1734. Satteldach, im Osten mit Krüppelwalm; Sakristeieingang im Osten, rundbogige Sprossenfenster. Im Innern flachgewölbte Decke, Westempore sowie Ostempore hinter dem Altar (mit Orgel). Renovierung 1912 (Neuausmalung Innenraum). Gesamtrenovierung 1957–62. Außensanierung 2005.

Turm

Quadratischer Westturm, schmaler als Kirchenschiff, erbaut 1748 (Jahreszahl an Fenster über Eingang). Verputztes Bruchsteinmauerwerk, ab Traufhöhe des Schiffs mit Schieferplatten verkleidet; gedrungener, verschieferter Turmhelm, erbaut 1796–1800; rechteckiger Ansatz, der in eine geschweifte, sechzehnseitige Spitze übergeht, bekrönt mit Kugel und Wetterfahne. Auslegestuhl für Uhrschlagglocke nach Osten, vier Uhrgauben. Rechteckige Schallfenster, Portal im Westen, darüber rundbogiges Sprossenfenster. Sanierungen 1912 und 2005.

Ausstattung

Altarmensa aus Sandstein mit fünf Weihekreuzen und Reliquiengrube. – Klassizistische Altarwand, ursprünglich mit Kanzel, im Mittelfeld Gemälde mit Kreuzigungsszene (1912); rechts und links Säulen, oberes Feld mit Dreiecksgiebel seit 1838 Orgelprospekt. – Holzkanzel mit Schalldeckel an Nordwand. – Taufengel (um 1748), hält muschelförmiges Becken für Taufschale in ausgestreckten Armen; hing lange Zeit unbenutzt in Turmhalle, 1961 abgenommen, 1981 restauriert und wieder in Benutzung genommen.24 – Zwei Kronleuchter (1613 und 1614).25

Altar, Orgel, 1979

Altar, Orgel, 1979

Orgel

1838 Neubau von Heinrich Schaper (Alfeld), 7 I/P, mechanische Traktur, Schleifladen; oberer Teil eines umgebauten Kanzelaltars als Prospekt. 1911 Neubau von Faber & Greve (Salzhemmendorf), 8 I/P, pneumatische Traktur, Farbersche Transmissionslade, Prospekt erhalten, 1976 urteilte der Orgelrevisor: „Der Zeitpunkt ist erreicht, wo der Zustand die Auflösung dieser Orgel herbeiführt“, Neubau empfohlen.26 1979 Neubau von Schmidt & Thiemann (Hannover), 5 I/P, mechanische Traktur, Schleifladen; Prospekt erhalten.

Geläut

Eine LG, b’, Inschrift: „Verkünde laut den Bund der Taufe, ruf uns zu Kirch und Unterricht, und töne, wenn in unserm Laufe der Pilgerstab am Grabe bricht. Gegossen von J. H. Bartels in Hildesheim 1872. Gemeinde Sellenstedt“ (Bronze, Gj. 1872, J. H. Bartels, Hildesheim). Eine SG, c’’’, Inschrift: „Ex sumptibus Burchhardt Heinrich de Rauschenplat MDCCXVI haec campana in honorem dei fusa“ Auf Kosten von Burkhard Heinrich von Rauschenplat wurde diese Glocke 1716 zur Ehre Gottes gemacht (Bronze, Gj. 1716). – Früherer Bestand: Eine Betglocke, 1428 genannt.27 Zwei LG, (beide Bronze, Gj. 1814, Christoph August Becker, Hildesheim), umgegossen aus zwei älteren Glocken. Beim Siegesläuten nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 gesprungen und zu zwei neuen LG umgegossen (beide Bronze, Gj. 1872, J. H. Bartels, Hildesheim); die größere im Zweiten Weltkrieg zu Rüstungszwecken abgeliefert, die zweite heutige LG.28

Friedhof

Alter Friedhof rund um die Kirche. Neuer kirchlicher Friedhof 1925 außerhalb des Dorfes angelegt (etwa 500 Meter nordöstlich der Kirche).

Liste der Pastoren (bis 1940)

1531–1544 und vermutlich noch länger Heinrich Bergmann (Bargkmann, Berchmann). – 1568 Heinrich Wunnenberg (Wunderberg). – 1568–1575 (?) Heinrich Köler (Carbona). – 1580 Henning Rosenhagen. – 1698–1726 Johann Julius Struve. – 1750–1757 Johann Michael Andreae. – 1757–1773 Julius Daniel Wicke.

Angaben nach: Meyer, Pastoren II, S. 368

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 1 Nr. 71–72 (Pfarroffizialsachen); A 5 Nr. 941 (Spec. Landeskons.); A 6 Nr. 7549–7553 (Pfarrbestallungsakten); A 9 Nr. 9Digitalisat, 10Digitalisat, 11Digitalisat (Visitationen); D 43 (EphA Alfeld); S 11a Nr. 7992 (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: 1659–1875 (Lücken: 1664–Sep. 1677; unvollständig: 1659–1765)
Trauungen: 1687–1875 (Lücken: 1798, 1804, 1806, 1807; unvollständig: 1687–1765, 1799, 1809, 1812)
Begräbnisse: 1659–1875 (Lücken: 1664–Sep. 1677; unvollständig: 1659–1765, 1800, 1807, 1815, 1838)
Kommunikanten: 1730–1798
Konfirmationen: 1758–1875 (Lücken: 1797–1827, 1831, 1841, 1842; beschädigt 1783–1796

Mutterkirche Adenstedt. Seit 1876 in den Kirchenbüchern der Mutterkirche.

Literatur

A: Aye/Kronenberg, Taufbecken, S. 270 f., Nr. 76; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 1200; Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 482–487; Kiecker/Graff, KD Kr. Alfeld, S. 269–271; Meyer, Pastoren II, S. 368; Pape, Schaper, S. 31–33; Reden-Dohna, Rittersitze, S. 164–166.

B: Sabine Hartmann: Die Samtgemeinde Sibbesse. Geschichten und Bilder von damals und heute, Harsum 2005, bes. S. 57–70.


Fußnoten

  1. Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien I, S. 133.
  2. UB HS Hildesheim I, Nr. 69. Die gleichartige Urkunde von Bf. Bernward (ebd. Nr. 67), in der Scellinstede ebenfalls genannt ist, ist eine Fälschung aus der zweiten Hälfte des 12. Jh. Vgl. dazu insgesamt: Casemir, Krueger, Ohainski & Peters, 1022, S. 54.
  3. UB HS Hildesheim IV, Nr. 638 (S. 351).
  4. Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 483; Reden-Dohna, Rittersitze, S. 164.
  5. Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 483.
  6. Junker, Winzenburger Erbregister, S. 496.
  7. UB HS Hildesheim V, Nr. 392.
  8. Lüntzel, Ältere Diöcese Hildesheim, S. 285.
  9. Lüntzel, Ältere Diöcese Hildesheim, S. 285.
  10. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 6,1, S. 4 und 22 ff.; Butt, Herrschaft, S. 42 ff.
  11. Kayser, Kirchenvisitationen, S. 219.
  12. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 6,1, S. 5 und 83 ff.; Butt, Herrschaft, S. 58 ff.
  13. Spanuth, Quellen, S. 277; Spanuth, Examensprotokolle, S. 193 und 199; Meyer, Pastoren II, S. 368.
  14. Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 487.
  15. Evangelischer Kirchenstaat, S. 59.
  16. Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 486.
  17. KABl. 1999, S. 216.
  18. KABl. 2008, S. 11.
  19. Kleinau, Neuer Text, S. 94.
  20. Reller, Kirchenverfassung, S. 112, 168 f. und 226.
  21. KABl. 1927, S. 43; KABl. 1941, S. 44.
  22. Kleinau, Neuer Text, S. 94.
  23. Reden-Dohna, Rittersitze, S. 166.
  24. Aye/Kronenberg, Taufbecken, S. 270 f., Nr. 76.
  25. DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 327 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0032705; DI 88, Landkreis Hildesheim, Nr. 322 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di088g016k0032200.
  26. LkAH, L 5h unverz., Adenstedt, Visitation 1976.
  27. Lüntzel, Ältere Diöcese Hildesheim, S. 285.
  28. Graff, Geschichte Kr. Alfeld, S. 486.