Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Peine | Patrozinium: Nikolaus | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Der Ort Groß Ilsede wird 1053 als Ilisede in einer Urkunde Kaiser Heinrichs III. erstmals urkundlich erwähnt.1 Nachdem die Ritter von Ilsede in männlicher Linie ausgestorben waren, belehnte Johann I. von Merlau, Abt von Fulda, 1399 Burkhard und Berthold von Gadenstedt mit den Dörfern Groß Ilsede und Gadenstedt, die schon ihre Vorfahren als fuldische Lehen besessen hatten.2 Nach dem Tod des Gutsherren Heinrich Albrecht d. J. von Gadenstedt verweigerten die Gemeinden Groß Ilsede und Gadenstedt seinem Nachfolger 1624 den Huldigungseid und es begann „die große Irrung“, ein gut einhundert Jahre andauernder Streit zwischen Gutsherren und Gemeinden über die zu leistenden Dienstpflichten.3 Groß Ilsede lag im Gebiet des Amtes Peine, das zum Hochstift Hildesheim gehörte (seit 1523 zum Kleinen Stift), besaß als Junkerdorf im Besitz der Familie von Gadenstedt jedoch eine eigene Gerichtsbarkeit (geschlossenes Patrimonialgericht). Im 16. und 17. Jh. stritten Hochstift und Fsm. Braunschweig-Wolfenbüttel zeitweise über die Landesherrschaft in Groß Ilsede sowie anderen Junkerdörfern wie Essinghausen, Equord, Gadenstedt, Klein Ilsede, Oberg, Oedelum oder Rosenthal.4 Mit dem Reichsdeputationshauptschluss fielen die Gebiete des Hochstifts 1803 zunächst an Preußen. Von 1807 bis 1813 war Groß Ilsede Teil des Kantons Lafferde im Distrikt Hildesheim des Departements Oker im Kgr. Westphalen. Im 1815 gegründeten Kgr. Hannover kam es zunächst zur Wiederherstellung der Patrimonialgerichte, die dann jedoch bis 1852 aufgelöst wurden.5 Seit 1851 gehörte Groß Ilsede zum Amt Peine. Nach der Annexion Hannovers durch Preußen blieb das Amt bis 1885 bestehen und wurde dann zum Lkr. Peine. Seit 1971 ist Groß Ilsede OT der Gemeinde Ilsede. Groß Ilsede war lange Zeit ein kleines Bauerndorf. Als 1858 die Ilseder Hütte (geschlossen 1983/95) gegründet wurde, wandelte sich der Ort rasch, die Bevölkerung wuchs besonders aufgrund auswärtigen Zuzugs.

Kirche, Ansicht von Südwesten

Kirche, Ansicht von Südwesten

Der früheste Kirchenbau in Groß Ilsede war vermutlich eine Kapelle der Ritter von Ilsede, die ihren Sitz im Bereich des heutigen Pfarrhauses hatten. Die Kapelle verfiel anscheinend, nachdem die Familie von Ilsede in männlicher Linie ausgestorben war.6 Groß Ilsede wurde um 1400 mit Schmedenstedt verbunden. 1508 wurde eine neue Kirche errichtet und am 6. Dezember 1508 eingeweiht, zum Teil ist sie in der heutigen Kirche erhalten. In Folge der Hildesheimer Stiftsfehde (1519–1523) musste Bf. Johannes IV. das Amt Peine 1526 an die Stadt Hildesheim verpfänden. Als der Schmalkaldische Bund 1542 den braunschweigischen Hzg. Heinrich d. J. verdrängt hatte und der Rat der Stadt Hildesheim unter dem Schutz des Bundes das protestantische Bekenntnis annahm, wurde damit auch Groß Ilsede lutherisch. Von 1556 bis 1603 war das Amt Peine im Pfandbesitz des Hzg. Adolf von Schleswig, der 1561 eine Kirchenordnunge in baiden gerichten, Steurwoldt und Peine erließ.7 1603 erhielt der Hildesheimer Bf. das Amt zurück und ging dabei auf die Bedingung ein, den Lutheranern ihre freie Religionsausübung zu lassen. Groß Ilsede war also ein luth. Dorf unter einem kath. Landesherrn, im 16. und 17. Jh. beanspruchte Braunschweig-Wolfenbüttel allerdings die geistliche Jurisdiktion über die luth. Gemeinden.8 Trotz anderslautender Zusage war der Bf. seit den 1620er Jahren bemüht, das Amt Peine zu rekatholisieren, scheiterte damit schließlich 1633, als Hzg. Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel die Stadt Peine erobern ließ. Wohl wegen des geringen Pfründeaufkommens – 1595 wird die Pfarre als „arm und schlecht“9 beschrieben – wurde die Kirche noch vor 1625 mater combinata von Gadenstedt. Im Jahr 1621 wurde die Kirche nach Osten hin erweitert. Pläne zum Neubau der „baufälligten“10 Kirche (1821, rechteckiger Saalbau mit Kanzelaltar) wurden nicht verwirklicht. Die Gründung der Ilseder Hütte und das damit verbundene Wachstum der Gemeinde brachten Veränderungen mit sich. Zum einen erhielt der Gadenstedter Pfarrer zeitweise Unterstützung durch einen Pfarrkollaborator für Groß Ilsede (1872 L. Mirow)11, zum anderen wurde eine Vergrößerung der Kirche notwendig. Um 1890/95 lag ein Entwurf für einen zweischiffigen Bau im Stil der Romanik mit Sakristei und seitlichem Turm vor. Umgesetzt wurden 1895 aber nur die Erweiterung des vorhandenen Schiffs nach Westen und die Errichtung des Turms, finanziert von der Ilseder Hütte. Vom geplanten Seitenschiff wurde nur ein Joch errichtet, es bildet heute den Eingangsbereich. Am 1. März 1899 wurden die pfarramtliche Trennung von Gadenstedt und die Errichtung einer eigenen Pfarrstelle beschlossen. Die Direktion der Ilseder Hütte unterstützte auch die Gründung der eigenständigen KG Groß Ilsede nachhaltig, finanzierte den Umbau der alten Schule zum Pfarrhaus und übernahm von 1899 bis 1957 einen Teil der Pfarrbesoldung.12

Kirche, Ansicht von Südosten, vor der Erweiterung nach Westen im Jahr 1895

Kirche, Ansicht von Südosten, vor der Erweiterung nach Westen im Jahr 1895

Unter P. Karl Johann Philipp Hartwig gründete sich 1914 die Ev. Frauenhilfe in Groß Ilsede, eine im ländlichen Bereich sehr frühe Gründung und die erste im KK Peine. Der Verein wählte die Ehefrau des Pfarrers, Irmgard Hartwig zur stellvertretende Vorsitzenden, das Amt der ersten Vorsitzenden übernahm später der Frau des Direktors der Ilseder Hütte.13
Die Pastoren der KG während der NS-Zeit standen eher der BK nahe. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP versuchte, die KV-Wahl vom Juli 1933 anzufechten, scheiterte jedoch mit seinem Einspruch.14 Seit 1940 übernahmen die Ehefrauen der Pfarrer zahlreiche Aufgaben in der Gemeinde, da sowohl P. Herbert Bader (amt. 1938–1942, gefallen) als auch sein Nachfolger P. Heinrich Hennies (amt. 1943–1954, in Kriegsgefangenschaft bis 1947) zur Wehrmacht eingezogen worden waren. Die ev. Schule wurde im Krieg in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem starken Zustrom von Ostflüchtlingen und Vertriebenen (1948: 1656 Einheimische, 855 Flüchtlinge). 1964 zog die letzte Flüchtlingsfamilie aus dem Pfarrhaus aus.15

Kirche, Blick zum Altar, vor 1960 (?) (1960 Innenrenovierung, dabei u.a. neuer Altar und neue Kanzel angefertigt)

Kirche, Blick zum Altar, vor 1960 (?)

1977 schlossen sich die KG der 1971 aus der niedersächsischen Gebietsreform hervorgegangenen Gemeinde Ilsede zu einem Kirchengemeindeverband zusammen. Die Modernisierung der GD-Gestaltung (monatliche „Besondere GD“ mit Spielszenen, modernerer Musik u. a.) seit Anfang der 1990er Jahre führten besonders im Bereich der Kirchenmusik zeitweise zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der KG.16 Auch der Konfirmandenunterricht wurde neu gestaltet, beginnt seit 1997 bereits in der 4. Klasse und bezieht in den ersten beiden Unterrichtsjahren auch die Eltern mit ein. Im September 2006 gründete sich der Verein St. Nicolai e. V., um die volle Pfarrstelle der KG zu erhalten, ein Viertel der Stelle ist seitdem spendenfinanziert.17

Umfang

Das Dorf Groß Ilsede.

Aufsichtsbezirk

Um 1500 Archidiakonat Schmedenstedt der Diözese Hildesheim. –1561 Insp. Peine, zeitweise ohne Sup. 1651/52 unterstand Groß Ilsede (verbunden mit der KG Gadenstedt) dem Geistlichen Ministerium des Amtes Peine, dem jeweils ein P. des Bezirks, der Senior, vorstand18, erst nach Aufhebung des Hochstifts Hildesheim (1803) wurde die Insp. Peine wieder eingerichtet. Seit 1853 saß der Sup. der Insp. Peine wieder in Peine. Mit Gründung der eigenständigen KG 1899 Insp. (1924: KK) Peine. 1. Oktober 1965 aus dem KK Peine in den KK Ölsburg (vormals Groß Solschen) umgegliedert19, dieser ging zum 1. Januar 1999 im KK Peine auf.

Patronat

Das Patronat lag 1481 beim Bischof von Hildesheim, später bei der Familie von Gadenstedt als Patrone der mater Gadenstedt.20 Anlässlich der Gründung der eigenständigen KG Groß Ilsede verzichtete Albrecht von Gadenstedt 1899 auf alle Patronatrechte.21

Kirchenbau
Kirche, Blick zur Orgel, vor 1960 (?)

Blick zur Orgel, vor 1960 (?)

Schmale, einschiffige Saalkirche mit unsymmetrisch liegendem Westturm. Mittlerer Teil des Kirchenschiffs von 1508 (massive Bruchsteinmauern mit jüngeren Fenstern), Verlängerung nach Osten mit 5/8 Chorabschluss von 1621 (Fachwerk auf hohem Bruchsteinsockel), Verlängerung nach Westen mit Turm und Anbau (Eingang) an Nordseite von 1895 (Ziegelbau). Osteingang 1883 neu gestaltet; 1960 Außeneingang zur nördlichen Empore entfernt; 1988 Dachsanierung, 1994–96 Außensanierung. Im Innern gerade Altarwand mit Pilastergliederung (nach 1821); Innenraum 1858 restauriert22; Emporen an West- und Nordwand, letztere bei Innensanierung 1960 verkürzt, um Altarraum zu vergrößern, gleichzeitig neuer Altar, neue Kanzel, Taufe und Ausmalung; 1991 Innensanierung.

Turm

Seitlicher Turm an Nordwestecke mit Rautendach, 1895 neu gebaut; älterer Turm, Dachreiter mit Pyramidenhelm über dem westlichen Kirchenschiff, zuvor abgebrochen; Schieferdeckung 1950 durch Kupferblech ersetzt, 1980 erneuert, neues Turmkreuz.

Ausstattung

Altarbild (Abendmahl), gestiftet 1653 von Hans Schultz und Anton Lütgering, 1937 restauriert (Kunstmaler Ebeling, Hannover).23 – Auferstehungsbild (um 1900, rundbogig), ursprünglich an der Wand über dem Altar, seit 1952 an Westwand. – Altarkreuz von Werner Ehlert (Hannover), Eichen- und Lindenholz, 1952. – Hölzerner Altartisch (1960). – Kanzel mit fünfseitigem Kanzelkorb an der Südseite (1960). – Taufe (1960).

Kirche, Blick zur Orgel, vermutlich 1976

Blick zur Orgel, vermutlich 1976

Orgel

Ursprünglich barocke Orgel (1681 wird ein Orgelmacher erwähnt), an der Johann Heinrich Grote (Peine) 1756 Arbeiten vornahm. 1894 abgebrochen, seinerzeit 11 I/P. 1895 Neubau durch P. Furtwängler & Hammer (Hannover), 12 II/P, mechanische Traktur, Kegelladen.24 1913 elektrisches Orgelgebläse. 1969 Neubau durch VEB Eule (Bautzen), 16 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. 1986 Reparatur durch Firma Emil Hammer (Hemmingen).

Geläut

Drei LG, I: e’; II: g’; III: h’ (alle Stahl, Gj. 1919, Bochumer Verein). Eine SG (Stahl, Gj. 1912). – Früherer Bestand: Eine LG (Bronze, Gj. 1508, Harmen Koster, Inschrift: Anna hete ick, vor alle christe sele bidde ick; Harmen Koster goedt meck, Anno Domini 1508 – O rex gloriae Christe veni cum pace ave maria), wurde im Ersten Weltkrieg zu Rüstungszwecken abgeliefert. Zweite LG (Gj. vermutlich 1621), ging anscheinend im Dreißigjährigen Krieg verloren und wurde durch eine neue LG (Gj. vermutlich 1652) ersetzt, diese ebenfalls im Ersten Weltkrieg abgeliefert.

Weitere kirchliche Gebäude

Pfarrhaus, ehem. Schule, nördlicher Teil zweigeschossig massiv, um 1900, südlicher Teil zweigeschossiger Fachwerkbau auf Bruchsteinsockel, um 1850; Anbau an Westseite 1962, 1978 Gemeinde- und Jugendraum.

Friedhof

Ursprünglich bei der Kirche, seit 1915 keine Bestattungen mehr. Neuer Friedhof kommunal, bis 1969 in kirchl. Verwaltung. FKap (Bj. 1952).

Liste der Pastoren (bis 1940)

1899–1910 Gustav Reinhold Otto Christoph Stalmann. – 1911–1920 Karl Johann Philipp Hartwig. – 1921–1938 Rudolf Karl Wilhelm Böhmer. – 1938– Herbert Otto Hugo Bader.

Angaben nach: Meyer, Pastoren I, S. 367

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 1 Nr. 6125–6131 (Pfarroffizialsachen); A 5 Nr. 743 (Spec. Landeskonsistorium); A 6 Nr. 2559–2568 (Pfarrbestallungsakten Gadenstedt); A 6 Nr. 3020–3031 (Pfarrbestallungsakten Groß Ilsede); A 9 Nr. 1189Digitalisat, 1190Digitalisat (Visitationen); D 21 (EphA Ölsburg/Groß Solschen); D 97 (EphA Peine); S 11a Nr. 7118 (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: ab 1703 (unvollständig: 1703)
Trauungen: ab 1700
Begräbnisse: ab 1700 (Lücken: 1795)
Kommunikanten: ab 1870 (Lücken: 1942), Erstkommunikanten: 1841–1853
Konfirmationen: ab 1779 (Lücken: 1780–1876)

Vor 1700 in den Kirchenbüchern von Gadenstedt, ebenso Konfirmanden 1817–1876 (Lücken: 1854–1871).

Literatur

A: Ahrens, KK Ölsburg, S. 7–26 und 41 f.; Boetticher, Ortsverzeichnis Lkr. Peine, S. 98–101; Jürgens u. a., KD Kr. Peine, S. 69–70; Meyer, Pastoren I, S. 367; Pape, Orgeln Kr. Peine, S. 18–19.
B: Festschrift zur 900-Jahrfeier. Ilisede 1053 – Groß Ilsede 1953, Peine 1953; 950 Jahre Groß Ilsede: 1053–2003, Ilsede 2003, bes. S. 473–508; Walter Faerber: Festschrift zum 500. Jubiläum der St. Nikolai-Kirche Groß Ilsede am 6. Dezember 2008, Ilsede 2008; Hermann Münchmeyer: Gadenstedt. Geschichte einer Kirchengemeinde, Peine 1925.

GND

1108596371, Sankt Nikolai-Kirche, Groß Ilsede.


Fußnoten

  1. MGH DD H III 310 [Digitalisat].
  2. Münchmeyer, S. 18 (ohne Beleg).
  3. Münchmeyer, S. 40 ff.
  4. Bertram, Bistum Hildesheim II, S. 303; ebd. III, S. 6 ff.
  5. Zur Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit im 19. Jh.: Hindersmann, Adel, S. 169 ff.
  6. Faerber, S. 13.
  7. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 7,2,1, S. 769 ff.
  8. Bertram, Bistum Hildesheim II, S. 304.
  9. Zit. bei Faerber, S. 15.
  10. Faerber, S. 16, Abb. 4.
  11. LkAH, A 9 Nr. 1189, Visitation 1873.
  12. LkAH, B 2 G 9/Groß Ilsede Bd. I, Bl. 25 ff. Die vertraglich festgelegte Verpflichtung (900 Mark jährlich) wurde durch eine einmalige Zahlung abgelöst.
  13. Faerber, S. 26 ff.
  14. Faerber, S. 35.
  15. Faerber, S. 40.
  16. Faerber, S. 67.
  17. Faerber, S. 71 f.
  18. Meyer-Roscher, Streiflichter, S. 123; Münchmeyer, S. 39.
  19. KABl. 1965, S. 258.
  20. Ahlhaus, Patronat, S. 75.
  21. Faerber, S. 21.
  22. LkAH, A 9 Nr. 1189, Visitation 1873.
  23. 950 Jahre, S. 92.
  24. Pape, Orgeln Kr. Peine, S. 18 f. LKA, G 9 B/Gr. Ilsede, Bl. 7.