Frühere Gemeinde | Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Göttingen-Münden, Amtsbereich Münden | Patrozinium: Matthäus (1962) | KO: Calenberger KO von 1569
Orts- und Kirchengeschichte
Eine Siedlung im Bereich des heutigen Ortsteils Hermannshagen der Stadt Hann. Münden ist urkundlich erstmals im Jahr 1303 nachgewiesen, als Gf. Otto von Waldeck dem Stift Hilwartshausen u. a. den halben Zehnten aus Hermanshayn übertrug.1 Weitere Urkundenbelege sind nicht bekannt, der Ort fiel anscheinend im 14. Jh. wüst.2 Mit dem Bau der Försterei und der Gründung verschiedener Industriebetriebe seit den 1860er Jahren sowie der Ansiedlung von Arbeiter- und Angestelltenfamilien ab 1875 entstand östlich von Münden das heutige Hermannshagen.3 Seit 1898 förderte der „Gemeinnützige Bauverein“ den Wohnungsbau. Zur Sozialstruktur der Gemeinde schrieb der Ortspfarrer 1961: „Es ist eine reine Arbeitergemeinde, mit ganz wenigen Angestellten des unteren oder mittleren Dienstes.“4 Im Jahr 1961 lebten in Hermannshagen rund 3.500 Menschen, 2020 etwa 2.050.
Kirchlich gehörte das neue Wohngebiet zur St. Blasiuskirche in Münden. P. Johann Heinrich Meyer (amt. 1932–1963) ließ in Hermannshagen 1948 eine „alte, von Kirchenvorstand St. Blasii billig angekaufte Militärbaracke“ aufstellen.5 Hier fanden sonntägliche Kindergottesdienste statt und zweimal im Monat ein Predigtgottesdienst, um „besonders den älteren Gemeindegliedern den langen Weg von etwa ¾ Stunden zur St. Blasiikirche zu ersparen“.6 Die Gemeinde nutzte die Baracke auch für die übrige Gemeindearbeit (Bibelstunden, Männer-, Frauen- und Jugendarbeit) und es wurde „sogar ein eigener kleiner Kindergarten mit Unterstützung der großen Fabrik ‚Fischer & Herwig‘ eingerichtet“.7 Wegen des schlechten Bauzustands bemühte sich der KV der Blasiusgemeinde 1952 um einen Neubau. 1953 lebten in Hermannshagen etwa 3.500 bis 4.000 Gemeindeglieder der Blasiusgemeinde.8 Im gleichen Jahr richtete das LKA Hannover eine dritte Pfarrstelle in der Gemeinde ein, die ein Jahr später auf die neu gegründete KG Münden-Hermannshagen überging.9 Erster Pastor der neuen Gemeinde war P. Martin Teicke (amt. 1953–1967).
Im neu errichteten Kindergarten konnte die Gemeinde am 15. August 1954 einen neuen Gottesdienstsaal einweihen, der „durch Verwendung von rohem Holz und Inschriften seiner Umgebung (mitten im Walde auf halber Höhe mit herrlichem Blick auf Hannoversch-Münden gelegen) angepaßt“ ist.10 Neben dieser Waldkapelle ließ die Gemeinde noch im gleichen Jahr einen hölzernen Glockenstuhl errichten, dessen zwei kleine Stahlglocken Silvester 1954 zu ersten Mal läuteten.11 Das Pfarrhaus war 1955 fertiggestellt. Seit Ende der 1950er Jahre bemühte sich der KV der Gemeinde Hermannshagen um den Bau einer eigenen Kirche.
Die Grundsteinlegung für den Bau in Hanglage, konzipiert als Stadtkrone über Hermannshagen, konnte die Gemeinde am 30. Oktober 1960 feiern. Am 6. Mai 1962 weihte Lbf. Hanns Lilje (amt. 1947–1971) die St. Matthäuskirche ein. Gleichzeitig änderte sich auch der Name von „KG Münden-Hermannshagen“ in „St. Matthäus-KG in Münden“.12 LSup. Lothar Stark (amt. 1958–1977) zeigte sich nach der ersten Visitation 1961 erfreut über die Entwicklung der Gemeinde. Hier sei „nach einer zweckmässigen und sorgfältigen Planung gearbeitet worden“. Trotz des Fehlens einer Tradition und trotz einer „kirchlich nicht aufgeschlossenen Bevölkerung“ sei die Sammlung einer Gemeinde gelungen und es entstehe ein Gemeindebewusstsein.13 1975 hob der Mündener Sup. hervor, dass in der Gemeinde „eine große Zahl von Mitarbeitern mit großem Eifer tätig“ sei.14
Drei Jahre nach Fertigstellung der Kirche nahm die Gemeinde ein neues Projekt in Angriff: Im Jahr 1965 gründete sich der „Verein Altenwohnheim Hermannshagen Innere Mission e.V.“. Mit wesentlicher Unterstützung der Matthäusgemeinde konnte das Altenwohnheim erbaut und 1972 eröffnet werden (mittlerweile in Trägerschaft der Diakonischen Altenhilfeeinrichtungen Hann Münden e.V.).15 Im Bericht zur Visitation 1981 charakterisierte der Sup. des KK Münden die Arbeit der Gemeinde als geprägt „durch die Verbindung von Verkündigung und Diakonie“.16
Nach einer ersten Sanierung Anfang der 1980er Jahre zeigten sich in den 2000er Jahren Bauschäden, die eine grundlegende Sanierung der Matthäuskirche nötig machten, welche die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde überstieg. Die Gemeinde ließ daher 2010 den Veranstaltungssaal des Altenwohnheims zu einem Gottesdienstraum umbauen (Matthäussaal). Die Matthäuskirche wurde 2011 entwidmet und 2018 verkauft. Die Orgel tauschte die Gemeinde gegen eine kleinere für den Matthäussaal ein, die Glocken läuten heute in der Kirche in Prohn (Mecklenburg-Vorpommern).
Zum 1. Januar 2012 schlossen sich die St. Matthäusgemeinde, die St. Lukasgemeinde und die Stadtkirchengemeinde zusammen und gründeten gemeinsam die neue Stadtkirchengemeinde Münden.17
Umfang
Ortsteil Hermannshagen der Stadt (Hann.) Münden („Die Kirchengemeinde Münden-Hermannshagen wird begrenzt durch die Werra und den Bahndamm bis zum Grundstück Weidenstieg 15.“).18
Aufsichtsbezirk
Mit Gründung der Kirchengemeinde 1954 zum KK Münden.
Kirchenbau
Zweigeschossiger Bau, im Untergeschoss Gemeinderäume, darüber Kirchsaal, erbaut 1960–62 (Architekt: Werner Hasper, Kassel). Satteldach. Außenwände mit hellen Ziegeln verblendet, Stirnseiten jeweils aus zwei stumpfwinklig zusammenstoßenden Wandflächen gebildet. An den Längsseiten horizontale Fensterbänder unterhalb der Dachtraufe; an Südostecke großes, rechteckiges Betonwabenfenster; in der Westwand Rosette mit Betonkreuz. Im Untergeschoss Fensterflächen nach Westen. An der Südseite Eingangsbereich mit Freitreppe und Vorplatz. Im Innern offener Dachstuhl, Wände mit Ziegeln verblendet, Westempore. 1982 Sanierung Westfassade (Verblendmauerwerk einsturzgefährdet). Die Kirche wurde 2011 wegen Baufälligkeit entwidmet und 2018 verkauft an die Alpha-Immobilien GmbH Witzenhausen.
Fenster
Farbig gestaltetes Rundfenster in Westwand (um 1964, Gerhard Hausmann, Hamburg). Farbig gestaltetes Betonwabenfenster an Südostseite des Altarraums.
Turm
Rechteckturm vor der Südwestecke der Kirche mit hohem, verglasten Verbindungsbau zur Kirche. Stahlbetonskelett mit Ziegelausfachung, im Glockengeschoss mit Holzlamellen, flaches Satteldach, bekrönt mit Kugel und Kreuz. Im Turminnern Gästezimmer. 1982/83 Turmsanierung (u. a. ursprünglich weitgehend offenes Glockengeschoss geschlossen).
Vorgängerbauten
Ehemalige Wehrmachtsbaracke, aufgestellt 1948, teilweise abgebrochen 1956, verbliebener Teil als Jugendraum genutzt. – Gottesdienstsaal im Kindergarten, erbaut 1954, sogenannte Waldkapelle, 7 Meter breit, 9 Meter lang, über dem Altarraum Inschrift: „Brechet in Jubel aus, ihr Berge, du Wald mit all deinen Bäumen, denn der Herr hat uns erlöst“; schlichte, hölzerne Ausstattungsstücke.
Ausstattung
Schlichter Tischaltar aus Beton (1962, Siegfried Zimmermann, Hannover). – Bronzenes Wandkruzifix (1962, Siegfried Zimmermann, Hannover). – Niedrige, lesepultartige Kanzel (1962), Stahl, Holz. – Schlichte Sandsteintaufe (1962, Heinz Detlef Wüpper, Hann. Münden), zylindrischer Schaft, konisches Becken. – In der Vorhalle: Auf schmalem Backsteinsockel Mittelalterliche Altarplatte (um 1476), Inschrift: „p[er] conr[ad] Gru[n]deman pl[e]b[anu]m fundata su[n]t h[aec] altaria“ (Durch den Priester Conrad Grundeman ist dieser Altar gestiftet worden), Altarplatte stammt möglicherweise aus der Kapelle des Heilig-Geist-Hospitals. Bevor sie 1962 zur Matthäuskirche kam, diente sie zeitweise als Straßenpflaster (bis 1922) und als Gartentisch. Um 2010 in die St. Blasiuskirche versetzt und zusammen mit Flügelretabel aus der Kirche St. Aegidien aufgestellt.19 – In der Vorhalle: Mosaikkruzifix (Heinz Detlef Wüpper, Hann. Münden), Geschenk des Künstlers. – Segmentbogiges Gemälde „Die Bergpredigt“ (1933, Heinrich Pforr), Öl auf Leinwand, etwa 9 x 3 Meter; mit Darstellungen von Einheimischen aus Münden und Umgebung, gemalt für St. Aegidienkirche, seit 1989 in der Matthäuskirche; blieb nach Entwidmung dort. – Christusgemälde (Kopie nach Bernhard Plockhorst), 1964 erworben. – Steinerner Opferstock (vielleicht 16. Jh.).
Orgel
Auf der Westempore, teilweise eingebaut in die Brüstung, erbaut 1964 von Rudolf Janke (Bovenden), 14 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen, darüber hinaus vier Register vakant. 1965 drei Pedalregister ergänzt, Rudolf Janke (Bovenden); 1977 ein Register ergänzt, eine Dispositionsänderung, Rudolf Janke (Bovenden), 18 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. Orgel 2010 an Orgelbauer Elmar Krawinkel (Trendelburg) abgegeben im Tausch gegen ein kleineres Instrument für den neu eingerichteten Matthäussaal.20
Geläut
Drei LG, I: cis’’, Inschrift: „Wer Gott fürchtet, über den ist niemand“; II: Betglocke, dis’’, Inschrift: „Irret Euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten“; III: Taufglocke, fis’’, Inschrift: „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ (alle Bronze, Gj. 1962, Firma Rincker, Sinn). Glocken 2016 abgegeben an Kirchengemeinde Prohn bei Stralsund. – Früherer Bestand: Zwei LG, I: h’’; II: gis’’ (beide Stahl, Bochumer Verein), Sextrippe, aufgehängt im hölzernen Glockenstuhl der Waldkapelle, eine der Glocken vom Bochumer Verein gestiftet.
Gottesdienstraum – Matthäussaal
Ursprünglich Veranstaltungssaal des Altenwohnheims Hermannshagen, 2010 umgestaltet (Agnes Gensichen und Markus Zink, Leipzig). Westliche Stirnwand als Altarwand gestaltet, mit angedeutetem Engelsflügel. Fenster nach Süden, teilweise mit farbigen Streifen.
Ausstattung
Hölzerner Altartisch mit Taufschale (2010, Agnes Gensichen, Markus Zink. Leipzig). – Gläsernes Wandkreuz (2010, Agnes Gensichen, Markus Zink, Leipzig). – Hölzernes Lesepult (2010, Agnes Gensichen, Markus Zink, Leipzig). – Hölzerner Osterleuchter (2010, Agnes Gensichen, Markus Zink, Leipzig).
Orgel
Erbaut 1961 von Paul Ott (Göttingen), 7 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen, ursprünglich in der Pädagogischen Hochschule Göttingen, 2010 instandgesetzt und in Hermannshagen aufgestellt von Elmar Krawinkel (Trendelburg); Instrument eingetauscht gegen die Janke-Orgel aus der Matthäuskirche.21
Weitere kirchliche Gebäude
Pfarrhaus (Bj. 1955). – Kindergarten mit Gemeindesaal (Bj. 1954).
Friedhof
Städtischer Friedhof nordöstlich von Hermannshagen.
Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)
S 04a Nr. 506–512 (Bauzeichnungen, Baupläne); S 09 rep Nr. 1725 (Presseausschnittsammlung).
Literatur
A: Gemeindebuch KKV Münden, S. 24–25.
B: Karl Brethauer: Münden. Gesammelte Aufsätze, 4 Bde., Münden [1980–1989], bes. I, S. 92 f. und II, S. 123; Martin Czichelski: Gemunde im frühen und hohen Mittelalter (= Sydekum-Schriften zur Geschichte der Stadt Münden 36), Hann. Münden 2006, bes. S. 107–128.
Weitere Bilder
Fußnoten
- UB Hilwartshausen, Nr. 122.
- Czichelski, S. 107; Kühlhorn, Wüstungen, S. 163 ff. (Nr. 171).
- Brethauer I, S. 92; Brethauer II, S. 123: „Das erste Wohnhaus baute 1875 Tischler Kawe“.
- LkAH, L 5c, unverz., St. Matthäus Münden, Visitation 1961.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Blasien, Visitation 1962; LkAH, B 2 G 9, Nr. 1443, Bl. 3.
- LkAH, B 2 G 9, Nr. 1443, Bl. 3.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Blasien, Visitation 1962; LkAH, B 2 G 9, Nr. 1443, Bl. 3.
- LkAH, B 2 G 9, Nr. 1443, Bl. 24.
- KABl. 1954, S. 78.
- LkAH, B 2 G 9, Nr. 1443, Bl. 74.
- LkAH, B 2 G 9 B, Nr. 454, Bl. 1 und Bl. 2.
- LkAH, B 2 G 9, Nr. 2136, Bl. 52.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Matthäus, Visitation 1961.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Matthäus, Visitation 1975.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Matthäus, Visitation 1975: Nach Einschätzung des Sup. wäre der Neubau des Altenwohnheimes „ohne den energischen Einsatz der Kirchengemeinde, insbesondere des Pastors wohl nicht zustande gekommen“.
- LkAH, L 5c, unverz., Münden, St. Matthäus, Visitation 1981.
- KABl. 2012, S. 59 f. Als Namensalternative war auch „Ev.-luth. KG Münden“ erwogen worden.
- KABl. 1954, S. 78.
- DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 60 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0006007.
- LkAH, B 2 G 9 B, Nr. 454, Bl. 107 ff.
- LkAH, B 2 G 9 B, Nr. 454, Bl. 107 ff.