Sprengel Lüneburg, KK Celle | Patrozinium: Frieden | KO: Lüneburger KO von 1643

Orts- und Kirchengeschichte

Der 36 Kilometer nordöstlich von Celle gelegene Ort verdankt seinen Namen dem Forst Lüß, an dessen Nordrand er liegt.1 Schon ein altes Forsthaus der Gegend trug den Namen „Unterlüß“.2 Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Hannover–Harburg ab 1843 wurde nach den Halten in Celle und Eschede auch ein Halt beim Forsthaus Unterlüß ins Auge gefasst. Mit der Einrichtung des Haltepunkts 1847 begann das Wachstum der Ortschaft, die 1871 ein repräsentatives Bahnhofsgebäude erhielt.3 Die Eisenbahnsiedlung Unterlüß wurde 1851 mit anderen Wohnplätzen und Forsthäusern zur neuen politischen Gemeinde Siedenholz zusammengelegt. Das Gemeindegebiet gehörte zum größten Teil zur Amtsvogtei Hermannsburg im Kgr. Hannover, kleinere Teile auch zu den Amtsvogteien Beedenbostel und Bergen.4 Seit 1852 teilten sich die Ämter Bergen und Celle das Gebiet. Nach der preußischen Annexion von 1866 bestand die Ämterstruktur zunächst weiter. Mit Einführung der Kreisverfassung kam Siedenholz 1885 zum Lkr. Celle.5 Im Jahr 1910 änderte die Gemeinde ihren Namen in Unterlüß, da der gleichnamige Ort zur einwohnerstärksten Siedlung und Sitz des Gemeindevorstandes geworden war.6 Die Gemeinde wuchs in den folgenden Jahrzehnten auch durch verschiedene Eingemeindung (Gutsbezirk Lüß 1930, Hohenrieth 1942 und Teile Weesens 1973).7 Im Jahr 2015 schlossen sich Unterlüß und Hermannsburg zur Gemeinde Südheide zusammen. Neben Forstwirtschaft und Kieselgurbergbau (Förderung 1994 eingestellt)8 entwickelte sich seit Ende des 19. Jh. die Rüstungsindustrie zum wesentlichen Arbeitgeber in Unterlüß. 1899 richtete die „Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik zu Düsseldorf“ (Rheinmetall) hier ein Versuchsgelände ein.9 In den folgenden Jahrzehnten kam es zur Vergrößerung des Schießplatzes und zum Bau von Fabrikgebäuden sowie der Schaffung eigener Infrastruktur mit Werksfeuerwehr, Werkswohnungen und zeitweise eigener Privatschule. In beiden Weltkriegen war die Firma ein wichtiger Waffen- und Munitionslieferant.10 Während der NS-Zeit war die Firma Rheinmetall – seit 1936 Rheinmetall-Borsig AG – zutiefst in das Lagersystem verstrickt und setzte in Unterlüß zahlreiche Zwangsarbeiter und Gefangene ein.11 Am 4. April 1945 wurde das Werk in Unterlüß bombardiert und großenteils zerstört.12 Mit Gründung der Bundeswehr 1955 erlebte die Firma Rheinmetall den Wiedereinstieg in die Rüstungsproduktion. Das Erprobungszentrum Unterlüß der Rheinmetall Waffe und Munition GmbH ist weiterhin der wichtigste Arbeitgeber im Ort. Die Einwohnerzahl lag 1914 bei 530, 1939 bei 1.550 und im April 1945 bei 8.250.13 Im Jahr 1950 lebten etwa 4.100 Menschen in Unterlüß, 2000 etwa 4.350 und 2008 noch gut 3.800.

Kapelle Unterlüß, Außenansicht, 1939, Zeichnung von Fritz Hildebrandt

Kapelle, Außenansicht, 1939, Zeichnung von Fritz Hildebrandt

Kirchlich gehörte das Gebiet von Unterlüß ursprünglich zum Kirchspiel Hermannsburg, wurde aber dann mit dem Wachstum der Eisenbahnersiedlung zum 5. August 1851 zur KG Eschede geschlagen, da die dortige Kirche besser zu erreichen war.14 Damit begann eine fast acht Jahrzehnte dauernde Verbindung von Unterlüß (bzw. bis 1910 Siedenholz) mit der Escheder Kirche. Mit dem Wachstum der ev.-luth. Bevölkerung in Unterlüß wuchs jedoch auch der Wunsch nach eigenen Gottesdiensten vor Ort, zumal der Platzmangel in der Escheder Kirche immer wieder zu Spannungen mit den Alteingesessenen führte, die auf ihr Recht an ihren Kirchstühlen bestanden.15 Ab der Adventszeit des Jahres 1904 feierten die ev.-luth. Christen in Unterlüß eigene Gottesdienste in der 1900 erbauten Schule. In diesen Gottesdiensten fanden später auch Abendmahls- und Tauffeiern statt und für Brautpaare aus Unterlüß war nun neben der Trauung in Eschede auch eine Haustrauung in Unterlüß möglich. Im Jahre 1912 erhielt Unterlüß auch einen eigenen Friedhof (in kommunaler Trägerschaft). Einen weiteren Anstoß für die Errichtung eines Gotteshauses und die spätere Gründung einer selbständigen KG sollte die Entwicklung auf dem Schießplatz der Firma Rheinmetall geben. Als sie dort die Ansiedlung von Arbeitskräften plante, regte der für dieses Gebiet zuständige P. Heinrich Wilhelm Karl Kretzmeyer aus Müden (Örtze) die Bildung einer eigenen KG Unterlüß an. So kam es im Frühjahr 1914 zu Verhandlungen über die Regelung der kirchlichen Verhältnisse zwischen Vertretern der politischen Gemeinde Unterlüß, der Schießplatzverwaltung (also der Firma Rheinmetall), den KG Eschede, Hermannsburg und Müden (Örtze), die letztendlich bedingt durch Widerstand in den beteiligten KG und vor allem durch den im August 1914 ausgebrochen Ersten Weltkrieg zu keinem Ergebnis kamen. Nach Kriegsende nahm die Sache schnell wieder Fahrt auf, da sich die Frage der kirchlichen Versorgung wegen des schnellen Wachstums der Arbeiterkolonie auf dem Schießplatz drängend neu stellte. Am Ende standen der Bau einer Kapelle in Unterlüß und die Errichtung einer Hilfspfarrerstelle, wobei Unterlüß zunächst Teil der KG Eschede blieb. Erster Hilfsgeistlicher in Unterlüß war ab Mai 1922 Karl Hustedt aus Blender/Verden. Der Grundstein für die Kapelle wurde am 23. September 1922 gelegt, die Pläne hatte der Bardowicker Architekt Wilhelm Matthies entworfen. Am 22. Juli 1923 wurde die Kapelle, für die der Unterlüßer Maler und Grafiker Albert König einen Ornamentbogen im Altarraum schuf, als „Krieger-Gedächtnis-Kapelle“ feierlich eingeweiht.16 Von der Mutterkirche in Eschede erhielt die Kapelle als wertvollstes Geschenk zur Ausstattung die kleine Bronzeglocke aus dem Jahr 1514. Sie bekam ihren Platz im Dachreiter am Westgiebel der Kapelle. Vier Jahre später erhielt Unterlüß ein Pfarrhaus. Der Schlusspunkt der Entwicklung zur eigenständigen KG war dann die Gründung der Kirchengemeinde Unterlüß mit einer eigenen Pfarrstelle zum 1. April 1930.17 Erster Pfarrer der Gemeinde war P. Ferdinand Weber (amt. 1931–1933).
Parallel zu den Bemühungen um den Bau eines ev. Gotteshauses setzten schon während des Ersten Weltkrieges Bestrebungen zum Bau einer kath. Kirche ein, die mit der Einweihung der St. Paulus-Kirche am 1. Mai 1927 ihren erfolgreichen Abschluss fanden.18 Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich auch Baptisten zu Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen zusammen und errichteten 1979/80 im ehemaligen Postgebäude ein Gemeindezentrum, das seit 2014 den Namen „Christuskirche“ trägt. Mit der kath. und der bapt. Gemeinde unterhält die ev.-luth. KG Unterlüß gute ökumenische Beziehungen.
Während der NS-Zeit betreute P. Kurt Jäger (amt. 1934–1967) die Gemeinde Unterlüß. Er war, wie er 1946 im „Fragebogen zur Geschichte der Landeskirche von 1933 bis Kriegsende“ angab, Mitglied der NSDAP und von 1935 bis 1938 der DC. Auch im 1933 gewählten Kirchenvorstand saßen mehrere Parteimitglieder.19
Seit Mai 1957 ist die KG Unterlüß Trägerin eines ev. Kindergartens (Kindergarten Arche Noah). In den Jahren 1959 bis 1961 erfuhr das Kirchengebäude einen tiefgreifenden Um- und Erweiterungsbau, der neben einem neuen freistehenden Glockenturm den Anbau von Gemeinderäumen an das Kirchenschiff mit sich brachte. Fast drei Jahrzehnte später kam es erneut zu einem Um- und Erweiterungsbau von Kirche und Gemeinderäumen, der für die Kirche einen fast kompletten Neubau des Schiffs und die Gestaltung als sogenannte „Schafstallkirche“ mit einem tief herabgezogenen Dach bedeutete. Die Kirche erhielt in den Jahren von 1992 bis 1996 ein neues Wandaltarbild und neue Fenster nach Entwürfen des in Leipzig geborenen Künstlers Werner Petzold, der Jesus als guten Hirten in den Mittelpunkt stellt und das von ihm ausgehende Licht als Strahl auch in den Fenstern aufgreift.20 1994 wurde die Kirche in „Friedenskirche“ umbenannt. Friedensarbeit, Arbeit mit Zuwanderern und Einsatz gegen Rechtsextremismus und für Demokratie machen das Profil der gegenwärtigen Gemeinde aus.

Umfang

Die ehemalige politische Gemeinde Unterlüß (seit 2015 OT der Gemeinde Südheide). Seit 2001 auch die Wohnplätze Neu Lutterloh, Schrödershof und Theerhof (vorher KG Hermannsburg).21

Aufsichtsbezirk

Mit Gründung der KG 1930 zum KK Celle.

Kirchenbau

Gebäudekomplex aus zwei parallelen Flügeln mit einem verbindenden Quertrakt, Kirche im Südwestflügel; erster Kapellenbau 1922/23 als Saalbau mit Dachreiter und seitlichem Sakristeianbau (Architekt Wilhelm Matthies, Bardowick); 1959/60 Um- und Erweiterungsbau (Architekt Maenicke, Celle), dabei Anbau von Gemeinderäumen, Abbruch des Dachreiters und Errichtung eines freistehenden Glockenturms; 1990–93 weitgehender Neubau der Kirche, Umgestaltung in sogenannte „Schafstallkirche“ mit tief heruntergezogenem Satteldach nach dem Vorbild alter Schafställe der Lüneburger Heide. Verputztes Mauerwerk, horizontale Fensterbänder, im Altarraum bodentiefe Fenster. Im Innern offener Dachstuhl.

Fenster

Farbige Fenster in Altarraum und Kirchenschiff (1996, Entwurf Werner Petzold, Berlin; Herstellung Firma Derix Glasgestaltung, Taunusstein), Lichtmotiv des Altarbildes aufgenommen.

Turm

Freistehender Turm in Stahlbeton-Skelett-Form mit ausgemauerten Fächern und verkupfertem Satteldach, bekrönt mit Kreuz, erbaut 1961.

Ausstattung

Flügelaltar in Form eines Kreuzes (1992, Werner Petzold, Berlin), u. a. Jesus als Lamm Gottes, von dem Licht für die Welt ausgeht. – Schlichter Altartisch aus Holz. – Fünfeckige Holztaufe, Holzkanzel, Lesepult und Orgelprospekt nach Entwürfen von Werner Petzold (Berlin).

Orgel

Erste Orgel 1927 bei der Firma Faber & Diener (Salzhemmendorf) bestellt und 1928 in der Kapelle aufgestellt, 6 I/P, pneumatische Traktur. Neubau im Jahr 1968, ausgeführt von Firma Hammer (Arnum), 9 I/P, mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 1542 A). Änderung des Prospekts 1992 nach Entwürfen von Werner Petzold, Berlin.

Geläut

Vier LG, I: b’, Sterbeglocke, Inschrift: „Alle Zungen sollen bekennen, dass Christus der Herr sei“ (Bronze, Gj. 1961, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg); II: des’’, Trauglocke, Inschrift (Übersetzung aus dem Niederdeutschen): „Folquewin in dem Namen des Herrn bin ich genannt, um sein Lob zu vermehren. Dirk Rose hat mich gemacht 1514“ (Bronze, Gj. 1514, Dirk Rose, Lüneburg), Geschenk der KG Eschede als Mutterkirche der Kapelle in Unterlüß; III: es’’, Taufglocke, Inschrift: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ (Bronze, Gj. 1961, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg); IV: f’’, Betglocke, Inschrift: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen“ (Bronze, Gj. 1961, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg).

Weitere kirchliche Gebäude

Pfarrhaus (Bj. 1928). – Gemeindehaus (Bj. 1959/60, Umbau 1992/93). – Kindergarten (Gebäudeunterhaltung durch politische Gemeinde).

Friedhof

Im Eigentum der politischen Gemeinde.

Liste der Pastoren (bis 1940)

1931–1933 Emil Ferdinand Gerhard Louis Weber. – 1934– Wilhelm Georg Kurt Jäger.

Angaben nach: Meyer, Pastoren II, S. 443

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 5 Nr. 58 (Spec. Landeskons.); S 11a Nr. 7234 (Findbuch PfA).

Literatur

A: Bühring/Maier, KD Lkr. Celle; Helmke, Speicher; Meyer, Pastoren II, S. 443.

B: Bernd Böhme: Deine Altäre, Herr Zebaoth, Lehrte 2005; Jürgen Gedicke: Chronik der Gemeinde Unterlüß, 2 Bde., Celle 1996/Unterlüß 2002; Karl-Heinz Grotjahn: Meiler, Mühlen und Monarchen. Kleine Geschichte des Kieselgurbergbaus in der Lüneburger Heide (1836 bis 1994), Unterlüß 1999; Wilfried Manneke, Christoph Fasel: Guter Hirte. Braune Wölfe, München 2019.


Fußnoten

  1. Bühring/Maier, KD Lkr. Celle, S. 342; zum Lüß und seiner Geschichte siehe Helmke, Speicher, S. 476 ff.
  2. Zum Ganzen siehe Gedicke I, S. 18 ff.
  3. Zum Ganzen des Bahnbaus und seine Auswirkungen auf Unterlüß siehe Gedicke I, S. 15–45.
  4. Gedicke I, S. 52 und Gedicke II, S. 55 ff.
  5. Zur gesamten Entwicklung der Ämter- und Kreisstruktur siehe Helmke, Speicher, S. 157 ff. und S. 201 ff.
  6. Gedicke I, S. 61 ff.
  7. Gedicke II, S. 117 f. und 155.
  8. Gedicke I, S. 169 ff. und Gedicke II, S. 40 ff. und S. 86 ff. Zum Gesamten der Kieselgurgewinnung und -verarbeitung siehe Helmke, Speicher, S. 467 ff.; Grotjahn, S. 48–55.
  9. Gedicke I, S. 141 ff.
  10. Vgl. Gedicke II, S. 28 ff.
  11. Vgl. Gedicke II, S. 165 ff.
  12. Gedicke II, S. 37.
  13. Gedicke II, S. 279.
  14. Gedicke I, S. 43.
  15. Zum Folgenden: Gedicke II, S. 72 ff.
  16. Gedicke II, S. 79; der Name der Kapelle könnte auf eine in ihr angebrachte Gedenktafel der Militär-Kameradschaft Unterlüß vom 22. Juli 1923 zurückgehen.
  17. KABl. 1930, S. 53.
  18. Gedicke II, S. 83 f.
  19. LkAH, S 1 H III Nr. 513, Bl. 34. Allgemein zum Fragebogen: Kück, Ausgefüllt, S. 341 ff.
  20. Böhme, S. 11 zeigt ein Detail des Altars.
  21. KABl. 2001, S. 199 f.