Frühere Gemeinde | Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Hildesheim-Sarstedt | Patrozinium: Timotheus | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Erste Wohnbauten im heutigen Hildesheimer Stadtteil Marienburger Höhe entstanden kurz nach 1900 und waren überwiegend für einkommensschwächere Menschen gedacht. Der Ortsteil im Südosten der Stadt hatte keinen guten Ruf und erhielt Namen wie „Kommunistenviertel“ oder „Klemmbutz“.1 Während der NS-Zeit bestand zeitweise die Absicht, hier eine reine SA-Siedlung aufzubauen, die Pläne wurden jedoch nicht verwirklicht. Zu einem starken Ausbau des Stadtteils kam es seit den 1950er Jahren. Zunächst lebten fast ausschließlich Arbeiter auf der Marienburger Höhe, laut Visitationsbericht 1965 dann auch „mittleres Bürgertum“.2 Die Bevölkerung fluktuiere wenig und zur Gemeinde zählten, wie der Sup. 1977 zusammenfasste, Mittelständler, Arbeiter, „Kleinrentner und sozial noch schwächer“3 gestellte Menschen.

Kirche, Außenansicht, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Kirche, Außenansicht, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Die Siedlungsplanung der Stadt bewog die Lambertigemeinde Anfang der 1950er Jahre die Gründung einer neuen Kirchengemeinde voranzutreiben. Am 4. Advent 1953 feierte sie die Einweihung der Timotheuskirche (zunächst sollte sie den Namen „St. Marien auf der Höhe“ erhalten), die der Architekt und Konsistorialbaumeister Ernst Witt entworfen hatte. Die schlichte Kirche sei „ganz besonders wohl gelungen“ und gehöre vielleicht „mit zu den schönsten neueren Kirchen unseres Landes“4 urteilte 1955 der Stadtsup. Kurt Degener. Über dem Kirchsaal lag ein Gemeinderaum (später ausgebaut), hinter dem Altarraum, in der zweigeschossigen Verlängerung des Chores, ein Konfirmanden- und ein Jugendraum. Kurz nach Einweihung der Kirche trennte sich der dritte Pfarrbezirk von St. Lamberti und konstituierte sich zum 1. Januar 1954 als eigenständige St.-Timotheus-Kirchengemeinde. Die 1952 eingerichtete Pfarrstelle ging auf die neue Gemeinde über.5 Die Siedlung war seinerzeit noch nicht ausgebaut und die neue Kirche stand vorerst allein. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde das umliegende Gelände bebaut. „In diesem Fall kam die Kirche also einmal nicht zu spät, sondern war zum rechten Zeitpunkt da“, stellte der Hildesheimer Sup. im Visitationsbericht 1959 fest.6

Kirche, Blick zum Altar, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Kirche, Blick zum Altar, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Auch das Pfarrhaus neben der Kirche hatte die Gemeinde erst 1956 bauen lassen, solange wohnte der Ortspfarrer „in einem Zimmer eines Siedlungshäuschens als Untermieter.“7 Mit Blick auf Hindernisse bei der kirchlichen Arbeit wies er 1959 bei der ersten Visitation der Gemeinde darauf hin, dass „die Auswirkungen nationalsozialistischer Propaganda noch heute spürbar sind, besonders in den Wohngebieten, in denen einst verdiente Parteiangehörige angesiedelt wurden.“8 Prägend wurde für die neue Gemeinde das starke liturgische Interesse ihres Pfarrers. Er gründete einen Kurrende – die Timotheusknaben – und der LSup. merkte 1960 an, Gottesdienstbesucher könnten aufgrund der liturgischen Gestaltung zwar „zunächst etwas befremdet sein und Vokabeln wie ‚katholisch‘ gebrauchen“, würden sich aber sicher schnell „mit den ‚schönen Gottesdiensten des Herrn‘ nach evangelischem Brauch“9 anfreunden. Der Knabenchor bestand bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre. Seit 1966 arbeitete eine Hilfspastorin der Landeskirche in der Timotheusgemeinde, zum 1. Januar 1968 richtete das Landeskirchenamt eine zweite Pfarrstelle ein.10 Drei Jahre später ging mit der Matthäus-Gemeinde aus dem südlichen Pfarrbezirk eine neue Kirchengemeinde hervor, die auch die zweite Pfarrstelle übernahm.11 Als „zutiefst enttäuscht und irritiert“12 beschrieb der Sup. die Gemeinde bei der Visitation 1988, nachdem der seinerzeitige Ortspfarrer 1987 zum kath. Glauben konvertiert war. Gleichzeitig lobte er Kirchenvorstand und Mitarbeiter, da sie das kirchliche Leben in der Gemeinde aufrechterhalten hätten.
Die Zahl der Gemeindeglieder, die 1959 bei rund 2.200 gelegen hatte und bis 1965 auf etwa 3.500 gestiegen war, sank bis 1977 wieder auf gut 2.200 ab – in erster Linie wegen der Auspfarrung der Matthäus-Gemeinde 1971. Im Jahr 2000 war die Timotheusgemeinde mit rund 1.100 Mitgliedern die kleinste der Hildesheimer Stadtgemeinden. Das Landeskirchenamt reduzierte die Pfarrstelle 1999 auf die Hälfte13, faktisch war der Ortspfarrer als Diakonie-Beauftragter des Kirchenkreises und Gefängnisseelsorger schon seit Ende der 1980er Jahre nicht mehr ausschließlich in der KG tätig. Zum 1. Januar 2005 schloss sich die Gemeinde St. Timotheus mit der Paul-Gerhardt-Gemeinde zusammen und gründete so die neue Paul-Gerhardt-Gemeinde.14
Am 3. August 2008 feierte die Gemeinde den letzten Gottesdienst in der St. Timotheuskirche. Nach der Entwidmung, der ersten im Kirchenkreis, mietete die Stiftungsuniversität Hildesheim das Gebäude. Es beherbergt heute das Center for World Music und eine Instrumentensammlung.

Pfarrstellen

I: 1954. – II: 1968–1971 (dann Hildesheim, Matthäus).

Umfang

Teile der Südstadt Hildesheims (Marienburger Höhe).

Aufsichtsbezirk

Mit Gründung zum KK Hildesheim, ab 1. Januar 1999 KK Hildesheim-Sarstedt.15

Kirchenbau
Kirche, Außenansicht, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Kirche, Außenansicht, Foto: Ernst Witt, Hannover, 1954

Verputzter Rechteckbau mit eingezogenem Rechteckchor im Nordosten, Satteldach mit drei Zwerchhäusern nach Südosten, Dach neben dem Turm über First hinaus bis zu Turmmauer verlängert, erbaut 1953, Architekt Ernst Witt. Gekuppelte Rechteckfenster an Kirchenschiff, nordöstliche Hälfte des Chors zweigeschossig. Im Innern flache Kastendecke, kleine Empore neben dem Turm; Gemeindesaal mit Bühne und Tonnengewölbe über dem Kirchenraum; Choranbau mit Sakristei, Konfirmanden- und Jugendraum. Neuausmalung 1962. Außenanstrich 1970. Kirche 2008 entwidmet.

Turm

Leicht hervorspringend an der Westecke, Satteldach quer zum Kirchenschiff, bekrönt mit Wetterhahn; jeweils zwei hochrechteckige Schalluken an jeder Seite; Haupteingang an Nordwestseite.

Ausstattung

Hölzerner Altar mit spätgotischem Retabel, sogenannter Arnecken-Altar (Tafelmalerei, um 1530, vermutlich Hans Raphon (Rebhuhn), Northeim, Riemenschneiderschule). Triptychon mit Darstellung der heiligen Sippe (Maria mit Jesus, Emertentia, Anna, Josef und Joachim) auf der Mitteltafel, Johannes des Evangelisten auf dem linken Flügel innen und St. Andreas auf dem rechten Flügel innen; außen St. Katharina und St. Barbara. 1587 im Arneken-Hospital nachgewiesen, seit 1897 im Roemer-Museum, seit 1954 als Leihgabe in Timotheuskirche. 1977 restauriert. Nach Entwidmung der Kirche 2008 in Paul-Gerhardt-Kirche, seit 2010 in Hildesheim, St. Andreas.16 – Messingtaufbecken mit Sandsteinsockel (1953, Stiftung zweier Familien aus der Gemeinde).

Kirche, Blick zur Orgel, nach 1957 (1957 Orgelneubau)

Kirche, Blick zur Orgel, nach 1957

Orgel

1954 Hausorgel von Hugo Distler aus Detmold in die Timotheuskirche umgesetzt, gebaut 1938 von Paul Ott (Göttingen), 15 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen; 1957 umgesetzt in die St. Jürgen Kapelle in Lübeck. 1957 neue Orgel, gebaut von Emil Hammer Orgelbau (Empelde), 9 I/P, mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 1422), zwei Manualreg. halb (Quinte 1 1/3’ nur Bass, Sesquialtera 2-fach nur Diskant), zwei Reg. vakant, Prospekt entworfen von Ernst Witt. 1959 Einbau der fehlenden Reg. (Mixtur 4-6-fach im Man., Oktave 4’ im Ped.).

Zweit-Orgel

Positiv, Neubau um 1962, Orgelbauer unbekannt, 2 I, mechanische Traktur, Schleifladen, um 1995 in die Paul-Gerhardt-Kirche umgesetzt (Hildesheim, Paul Gerhardt (alt)).

Geläut

Drei LG, I: a’; II: h’ (beide Bronze, Gj. 1960, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg); III: d’’ (Bronze, Gj. 1952, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg).

Weitere kirchliche Gebäude

Pfarrhaus (Bj. 1956, eingeschossiger Bau mit Satteldach).

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

S 2 Witt Nr. 11 (Fotosammlung).

Kirchenbücher

Taufen: ab 1953
Trauungen: ab 1953
Begräbnisse: ab 1953
Kommunikanten: ab 1954 (Zahlenregister)
Konfirmationen: ab 1955

Vorher siehe Hildesheim, St. Lamberti.

Literatur

A: Pape, Organographia Historica Hildesiensis, S. 346–350.


Fußnoten

  1. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1959.
  2. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1966.
  3. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1977.
  4. LkAH, B 2 G 9/Hildesheim, St. Timotheuskirche Bd. I, Bl. 48.
  5. KABl. 1954, S. 121 f.
  6. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1959.
  7. LkAH, B 2 G 9/Hildesheim, St. Timotheuskirche Bd. I, Bl. 48a.
  8. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1959.
  9. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1959.
  10. KABl. 1968, S. 12.
  11. KABl. 1971, S. 13.
  12. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, St. Timotheus, Visitation 1988.
  13. KABl. 1999, S. 200 f.
  14. KABl. 2004, S. 192.
  15. KABl. 1998, S. 211 f.
  16. DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 313 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0031309.