Frühere Gemeinde | Anstaltsgemeinde | Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Hildesheim-Sarstedt | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Am 30. Mai 1827 wurde die Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim in den Gebäuden des 1803 aufgelösten Michaelisklosters eröffnet. Gut 100 Patienten übernahm die neue Anstalt aus Celle, wo 1731 das „Zucht- und Tollhaus“ eingerichtet worden war. 1833 waren auch im nahegelegenen Magdalenenkloster die Umbauarbeiten abgeschlossen und die Pflegeabteilung für unheilbar Kranke konnte eröffnen. Insgesamt waren für die Landes Heil- und Pflegeanstalt 250 Patientinnen und Patienten vorgesehen. Die Michaeliskirche diente bis 1844 als Bewegungs- und Aufenthaltsraum, um einen offenen Durchgang zwischen Kirche und Hof des Kreuzgangs zu gewinnen, war die nördliche Seitenschiffwand abgebrochen worden.1 Wegen Überbelegung kam 1849 ein Erweiterungsbau auf dem Gelände des ehemaligen Sülteklosters (St. Bartholomäus) hinzu, seit 1864 nutzte die Anstalt zwei Bauernhöfe in Einum und 1926 kam das Gut Hahnenmoor hinzu. Überfüllung und schlechte hygienische Zustände führten 1870 zu einem Ruhr- und Choleraausbruch im Magdalenenkloster; während des Ersten Weltkriegs stieg die Zahl der Todesfälle unter den Patientinnen und Patienten, da sie nicht ausreichend versorgt und ernährt wurden.2 Im Jahr 1919 begannen Umbau und Modernisierung der Anstaltsgebäude. Zu Beginn der 1930er Jahre beherbergte die Heil- und Pflegeanstalt gut 1.000 Patientinnen und Patienten. 1941 wurden etwa 440 von ihnen abtransportiert und ermordet (sogenannte T4-Aktion), zudem stieg die Sterberate innerhalb der Anstalt während der NS-Zeit drastisch an.3 Hermann Grimme, seit 1930 Direktor der Anstalt, verfasste im Februar 1941 eine Denkschrift gegen die „Euthanasie“-Morde.4 1943 musste die Anstalt das Michaeliskloster räumen, wo nun eine SS-Führerschule einzog („Haus Germanien“). Ein Jahr nach Kriegsende wurde die Heil- und Pflegeanstalt 1946 aufgelöst. Von 1953 bis 2002 beherbergte das ehemalige Kloster das Predigerseminar St. Michael in Hildesheim, seit 2004 das Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik.

Die Landes Heil- und Pflegeanstalt bildete eine eigene Parochie in der Stadt Hildesheim. Ihr erster Geistlicher, P. Johann Heinrich Christian Keil (amt. 1827–1853) war gleichzeitig Pfarrer an St. Jakobi (Hildesheim, St. Jakobi) und versah seinen Dienst in der Anstalt nebenamtlich. 1854 erhielt die Einrichtung eine eigene Pfarrstelle. 1869 erhoben die Provinzialstände Anspruch auf das Patronatsrecht über die Anstaltskirchen in Hildesheim und Göttingen, konnten sich jedoch nicht durchsetzen: Nach einer Einigung 1870 erfolgte die Ernennung der Geistlichen durch das Landeskonsistorium im Einvernehmen mit dem Landesdirektorium.5 P. Heinrich August Bernhard Isermeyer (amt. 1883–1898) wechselte 1898 als Leiter an das von ihm gegründete Frauenheim in Himmelsthür (Himmelsthür, Frauenheim). Seit 1927 betreute ein Geistlicher der ev. Volksdienste die Pfarrstelle, seit 1934 blieb sie vakant und wurde von Pfarrern im Ruhestand versehen.

Umfang

Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim.

Aufsichtsbezirk

Geistliches Ministerium der Hildesheimer Pfarrer unter Leitung des Stadtsup. 1924 KK Hildesheim.

Patronat

Der Landesherr. Besetzung seit 1870 durch die Kirchenbehörde im Einvernehmen mit dem Landesdirektorium (Vereinbarung vom 7. November 1870).6

Kirchenbau

Sogenannte Kleine Michaeliskirche, rechteckiger Bau hinter dem westlichen Kreuzgang des Michaelisklosters, eingerichtet 1695. Im Innern ursprünglich flaches Spiegelgewölbe, im Mittelbild St. Benedikt, in den fünf Lünettenfeldern Kirchenlehrer. 1943 zu Kino umgebaut. 1945 zerstört, seit den 1950er Jahren Kapelle des Predigerseminars St. Michael in Hildesheim.

Turm

Kleiner Dachreiter mit Laterne und geschwungener Haube, erbaut um 1695, 1945 zerstört, nicht wieder aufgebaut.

Ausstattung

Barocker Altar mit gedrehten Doppelsäulen, davor zwei Figuren, über dem Giebel Figur des Erzengels Michael flankiert von zwei Engelsfiguren; im Hauptfeld Kreuzigungsszene, darunter Abendmahlsbild nach Leonardo da Vinci (um 1710, Altar heute in Groß Lobke).

Orgel

Erbaut um 1778 von Johann Conrad Müller (Hildesheim), I/aP, mechanische Traktur, Schleifladen, aufgestellt links und rechts des Altars.7 1864 11 Reg. 1864 erweiterte Georg Stahlhuth (Hildesheim) das Instrument auf 14 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. 1867 Umbau durch Heinrich Schaper (Hildesheim), 13 I/P, mechanische Traktur, Schleifladen. 1897 Erweiterung und Umbau durch August Schaper (Hildesheim), 19 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. Instrument 1930 stillgelegt, Orgel vermutlich mit Kapelle 1945 zerstört. Um 1960 Neubau von Ludwig Hoffmann (Betheln), 5 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. Orgel im August 2023 bei einem Brand zerstört.

Weitere kirchliche Gebäude

Betsaal im Sültekloster.8

Liste der Pastoren (bis 1940)

1827–1853 Dr. Johann Heinrich Christian Keil. – 1855–1870 Carl Wilhelm Hermann Eckelmann. – 1870–1882 Georg Heinrich Hartwig. – 1882–1883 Georg Heinrich Eduard Ahrens. – 1883–1898 Heinrich August Bernhard Isermeyer. – 1893–1910 Albert Julius Heinrich Glüh. – 1910–1927 Karl Johannes Lemmermann. – 1928–1934 Johannes Wilhelm Hermann Crusius. – 1934–1938 Karl Johannes Lemmermann. – 1938– Heinrich Cornelius Hase.

Angaben nach: Meyer, Pastoren I, S. 507

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 6 Nr. 3668–3671 (Pfarrbestallungsakten); A 9 Nr. 1056Digitalisat (Visitationen); S 11a Nr. 7079 n (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: 1828–1943 (Lücken: 1849)
Trauungen: 1830–1943
Begräbnisse: 1827–1945
Kommunikanten: 1876–1930
Konfirmationen: 1829–1943 (Lücken: 1830–1893)

Nach dem 1.12.1947 in den Kirchenbüchern von Hildesheim, St. Andreas und Hildesheim, Martin-Luther-Kirche.

Literatur

A: Dolle, Klosterbuch II, S. 682–696; Meyer, Pastoren I, S. 506; Pape, Organographia Historica Hildesiensis, S. 140–142; Zeller, KD Hildesheim kirchliche Bauten, S. 225–227.
B: Otto Mönkemöller: Die Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim. Ein Gedenkblatt zur Feier des hundertjährigen Bestehens, Berlin 1927; Klaus Schäfer: Die Heil- und Pflegeanstalt im Michaeliskloster 1827 bis 1946, in: St. Michaelis zu Hildesheim. Geschichte und Geschichten aus 1000 Jahren, hrsg. von der Volkshochschule Hildesheim, Hildesheim 2010, S. 188–196.


Fußnoten

  1. Abbildung: Schäfer, S. 189.
  2. Schäfer, S. 192.
  3. Schäfer, S. 193 f.
  4. Raimond Reiter: Niedersächsische Denkschriften gegen „Euthanasie“-Morde, in: Hannoversche Geschichtsblätter 47 (1993), S. 229–243, bes. S. 242 f. Siehe auch Hans-Walther Schmuhl: Die Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus, Heidelberg 2016, S. 327–333.
  5. LkAH, A 5, Nr. 271.
  6. LkAH, A 5, Nr. 271.
  7. Abbildung: Zeller, KD Hildesheim kirchliche Bauten, Taf. XXXVII.
  8. LkAH, A 9 Nr. 1056, Visitation 1916.