Seit 1942 Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig | Patrozinium: vielleicht Maria1 | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Erstmals schriftlich erwähnt ist der Ort in einem undatierten Lehnregister Gf. Ludolfs von Wohldenberg aus der zweiten Hälfte des 12. Jh., in dem die Besitzungen aufgeführt sind, die er vom Reichsstift Gandersheim zu Lehen hielt.2 Um 1226 und um 1270 hatte die Familie von Linde Besitz in Wartekenstide als Lehen der Herren von Meinersen.3 Nachdem die Herren von Linde in männlicher Linie ausgestorben waren (Jobst von Linde fiel 1553 in der Schlacht von Sievershausen), belehnte Hzg. Heinrich der Jüngere, Fs. von Braunschweig-Wolfenbüttel, seinen Kanzler Johann Stopler u. a. mit den Linde’schen Besitzungen in Wartjenstedt. Die Familie von Stopler starb 1816 aus und der Hannoveraner Kg. übertrug den Wartjenstedter Lehnsbesitz an den Gf. von Münster. Wartjenstedt gehörte im Mittelalter zum Amt Wohldenberg des Hochstifts Hildesheim, das nach 1275 aus dem ehemaligen Gebiet der Grafen von Wohldenberg hervorgegangen war.4 Nach Ende der Hildesheimer Stiftsfehde (1519–1523) fiel Wartjenstedt zusammen mit den übrigen Dörfern des Amtes Wohldenberg an das welfische Teilfsm. Braunschweig-Wolfenbüttel und kehrte erst 1643 unter stifthildesheimische Landesherrschaft zurück (Restitution des Großen Stifts). Nach den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 fiel das Gebiet des Hochstifts an das Kgr. Preußen. In der Zeit des französischen Satellitenkgr. Westphalen (1807–1813) gehörte Wartjenstedt zum Kanton Nettlingen im Distrikt Hildesheim des Departements Oker. Ab 1815 war das Dorf, nun im Kgr. Hannover, wieder Teil des Amtes Wohldenberg, das 1852/59 im Amt Bockenem aufging. Nach der preußischen Annexion von 1866 blieb die Ämterstruktur zunächst bestehen und bei Einführung der Kreisverfassung kam Wartjenstedt 1885 zum neuen Kr. Marienburg. Aus der preußischen Provinz Hannover wurde Wartjenstedt zum 1. August 1941 in den Freistaat Braunschweig umgegliedert (Salzgittergesetz) und gehört seitdem zum Lkr. Wolfenbüttel. Im Jahr 1974 wurde Wartjenstedt nach Baddeckenstedt eingemeindet. Um 1810 lebten etwa 225 Menschen in Wartjenstedt, 1998 knapp 400.
Ältestes Zeugnis der örtlichen Kirchengeschichte ist der Kirchturm, der teilweise noch aus romanischer Zeit stammt. Ein Geistlicher lässt sich in Wertekenstede erstmals zwischen 1281 und 1295 belegen.5 Im Jahre 1317 war ein Henricus plebanus in Wartekenstede, 1325 ist ein Waltherus als Pfarrer nachgewiesen (rector ecclesiae in Wartekenstede).6 Knapp drei Jahrzehnte später gab Lippoldus plebanus in Wardekenstede sein Pfarramt zugunsten des armen Klerikers Wedekind auf (Weddekindo pauperi clerico).7 Mit Johannes Persek ist 1446 ein weiterer vorref. Inhaber der Pfarrkirche in Wartjenstedt (parochialis ecclesia Wartekenstede) belegt.8
Als Dorf im Fsm. Braunschweig-Wolfenbüttel erlebte Wartjenstedt eine erste Einführung der Reformation, nachdem die Truppen des Schmalkaldischen Bundes den kath. Hzg. Heinrich den Jüngeren vertrieben hatten. Lgf. Philipp von Hessen und Kfs. Johann Friedrich von Sachsen setzten eine Statthalterregierung ein, die Johannes Bugenhagen, Martin Görlitz und Antonius Corvinus mit einer Visitation der einzelnen Kirchengemeinden beauftragte, 1543 die Christlike kerken-ordening im lande Brunschwig, Wulffenbüttels deles erließ und 1544 erneut Visitatoren in die Gemeinden schickte.9 Seinerzeit war die Pfarre Wartjenstedt im Besitz von Johann Utracht aus Goslar, den Pfarrdienst versah Johann Richards als arrendarius (Verwalter). Der Nachfolger P. Bartholomäus Brendecken war dann gleichzeitig Pfarrer und Inhaber der Pfarrpfründe.10 Die Wartjenstedter Geistlichen waren auch für die Tochtergemeinde Rhene zuständig. 1547 gelang Hzg. Heinrich die Rückkehr in sein Fsm. und in den folgenden Jahren war er bemüht, die Reformation rückgängig zu machen. Mit dem Regierungsantritt seines Sohnes kehrte Braunschweig-Wolfenbüttel 1568 jedoch zur ev. Konfession zurück: Hzg. Julius ließ die Kirchengemeinden erneut visitieren und verkündete 1569 die später sogenannte Calenberger Kirchenordnung.11 Seinerzeit hatten Wartjenstedt und Rhene keinen eigenen Geistlichen. P. Johannes Stracke, Pfarrer im benachbarten Grasdorf betreute die beiden Gemeinden als mercenarius (Mietling). In ihrem Bericht notierten die Visitatoren 1568 über P. Stracke, er wisse auf theologische Fragen nichts zu antworten, er feiere die Messe auf kath. Weise, er sei verheiratet (Nihil. Celebravit. Uxoratus). Insgesamt zogen sie kein positives Fazit: Die Pfarrer im Gebiet Bockenem seien „mehrer theils beschwerlich zu tollerirn“.12
Zwar gelang es den Bischöfen von Hildesheim während des Dreißigjährigen Krieges, die Kontrolle über die 1523 verlorenen Gebiete zurück zu erlangen (Restitution des Großen Stifts 1643), aber eine Rekatholisierung konnten sie letztlich nicht durchsetzen: Hinsichtlich der Konfessionszugehörigkeit hatten die Kriegsparteien im Westfälischen Frieden das Normaljahr 1624 vereinbart. Daher blieben Wartjenstedt und Rhene auch unter ihrem kath. Landesherrn, dem Bf. von Hildesheim, bei der luth. Lehre. Von etwa 1626 bis 1665 betreuten die Pfarrer von Wartjenstedt und Rhene auch die Gemeinde Grasdorf.
In einer Beschreibung der ev. Dörfer des Hochstifts Hildesheim von 1730 heißt es zu Wartjenstedt: „Anno 1703. wurde die Kirche hiesiges Orts durch den grossen Sturm-Wind gäntzlich ruiniret, das dieselbe von Grund auf wieder erbauet werden müssen.“13 Zudem seien die Einkünfte des Pfarrers nicht hoch und sein Landbesitz gering. Ab 1782 waren die Pfarrer von Wartjenstedt auch für die Gemeinde Binder zuständig.
Ihre heutige Gestalt erhielt die Kirche in Wartjenstedt in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Nach einem letzten Gottesdienst am Trinitatisfest 1870 ließ die Gemeinde das alte Kirchenschiff abbrechen und unter Einbeziehung des alten Kirchturms einen Neubau errichten (Grundsteinlegung 14. August 1870). Die Pläne hatte Konsistorialbaumeister Conrad Wilhelm Hase (1818–1902) entworfen. Im Januar 1873 konnte die Gemeinde ihr neues Kirchengebäude einweihen.
Seit 1931 war die Pfarrstelle der drei Gemeinden Wartjenstedt, Rhene und Binder vakant. Den Pfarrdienst versah P. Helmut Storch aus Grasdorf, der zu den DC gehörte. Bei der Visitation 1942 gab er an, er führe „sein Amt nicht in Gemäßheit des Bekenntnisses unserer Kirche, sondern in Gemäßheit des Evangeliums“. Zudem sei die Taufordnung „für den neuen deutschen Menschen unwahr geworden“. LSup. Rudolf Detering resümierte: „In normalen Zeiten würden solche Äußerungen von einer verantwortungsbewußten Kirchenleitung nicht ohne Weiteres hingenommen werden können.“14 Er habe in den Gemeinden kein intensives kirchliches Leben vorgefunden, was nach seiner Einschätzung „nicht nur auf die sog[enannten] Zeitverhältnisse, sondern auch auf die DC-Verkündigung“ zurückzuführen sei.
Seit 1942 gehört Wartjenstedt zur Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig (Gebietstausch mit der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers infolge des Salzgittergesetzes).15 Mit P. Herbert Rückemann (amt. 1943–1951) erhielt die Gemeinde wieder einen eigenen Pfarrer, später versah der Pfarrer von Groß Heere die Pfarrstelle (1966–1973). 1969 trennte sich die KapG Rhene von Wartjenstedt und seit 1973 bilden die KG Binder, Wartjenstedt, Osterlinde und Westerlinde einen Pfarrverband (Sitz in Westerlinde).

Umfang

Die Dörfer Wartjenstedt und die KapG Rhene (bis 1969).

Aufsichtsbezirk

Archidiakonat Holle der Diözese Hildesheim.16 – Um 1544 Insp. Bockenem, 1570 zur neuen Insp. Baddeckenstedt.17 Seit etwa 1650 Insp. der Ämter Wohldenberg und Bilderlahe (ohne festen Superintendentursitz).18 1807 Insp. Bockenem, Sitz der Suptur. bis 1817 in Nette, dann Sehlde. 1834 zur neuen Insp. (1924: KK) Sehlde. 1942 zur Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Propstei Goslar. Später Propstei Salzgitter-Lebenstedt.

Patronat

Bf. von Hildesheim, später Hzg. von Braunschweig und Lüneburg bzw. Fs. von Braunschweig-Wolfenbüttel.19 Seit Mitte 17. Jh. wieder Bf. von Hildesheim.20 Ab 1803 der jeweilige Landesherr (bis 1871).21

Kirchenbau

Neugotischer Werksteinbau mit eingezogenem Polygonalchor und Sakristeianbau (Südostecke zwischen Chor und Schiff), 1870–72 errichtet nach Entwürfen von Conrad Wilhelm Hase (1818–1902). Satteldach mit Walm über dem Chor; stark hervortretende Strebepfeiler, breite, dreibahnige Spitzbogenfenster. Im Innern Rippengewölbe, Westempore.

Turm

Romanischer Westturm, verschieferter Turmhelm mit viereckigem Ansatz und achteckig ausgezogener Spitze, Gauben mit Schallöffnungen. Bruchsteinmauerwerk mit Eckquaderung, Schallöffnungen nach Norden und Süden mit Uhrziffernblättern verschlossen, Westportal (neu).

Vorgängerbau

Rechteckbau mit eingezogenem Chor und Sakristeianbau. Bruchsteinmauerwerk, ursprünglich spitzbogige Fenster. Im Innern flache Balkendecke, Triumphbogen zwischen Chor und Schiff, Sakristeianbau mit Gewölbe.

Ausstattung

Gemauerter Altar, Altarretabel mit Kruzifix (um 1873).

Orgel

Neue Orgel 1873/74, erbaut von Heinrich Vieth (Celle), 11 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen. 2012 renoviert.

Geläut

Eine LG (Bronze, Gj. 1955). Eine LG hʼ, Inschrift: „Friede sei mit Euch! Joh. 20,19. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts Mangeln. Ps. 23“ und „Mich goss J. J. Radler in Hildesheim 1914. K.V. W. Schmidt, Pastor, R. Schaare, H. Meyer, C. H. Harenberg, C. H. Brinkmann in Wartjenstedt, H. Müller, H. Ecklebe in Rhene“ (Bronze, Gj. 1914, Firma Radler, Hildesheim). – Früherer Bestand: Eine LG (Bronze, Gj. 1864 Johann Jacob Radler, Hildesheim), Umguss aus einer älteren LG.

Friedhof

Kirchlicher Friedhof ursprünglich rund um die Kirche. Neuer Friedhof am Westrand des Ortes. FKap.

Liste der Pastoren (bis 1940)

Um 1542 Johann Richards. – Um 1568 Barthold Brendecke. – Um 1568 Johann Stracke. – 1569–1591 Heinrich Solemann (Solimann). – 1570 (?) Jodocus Hartwich. – 1597– vor 1628 Justus Geccius. – 1632–16.. Johannes Hachmeister. – 1643–1665 Anton Böse. – 1665–1668 Henricus Loges. – 1668–1697(6) Johannes (Nicolaus?) Bode (Bodenius). – 1697–1701 Esajas Böger. – 1701–1706 Johann Heinrich Schlecke. – 1707–1709 Günther Georg Linde. – 1709–1745 Johann Georg Schwineköper. – 1745–1759 Johann Philipp Keller. – 1759–1795 Heinrich Leonhardt Winnecke. – 1796–1825 Adolph Heinrich Christian Winnecke. – 1825–1828 Heinrich Johann Christian Schirmer. – 1829–1846 Gustav Heinrich Lohmann. – 1846–1864 Friedrich Heinrich Ernst Oestern. – 1864–1867 Ernst Ludwig Sachse. – 1869–1905 Johann Friedrich Ludwig Ohlens. – 1906–1910 Johannes Heinrich Hugo Blitz. – 1910–1918 Ernst Wilhelm Schmidt. – 1920–1931 Friedrich Christian August Theodor Scheer.

Angaben nach: Meyer, Pastoren II, S. 479–480

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 1 Nr. 11383–11391 (Pfarroffizialsachen); A 5 Nr. 810–811 (Spec. Landeskons.); A 6 Nr. 8417–8425 (Pfarrbestallungsakten); A 9 Nr. 2372Digitalisat, 2373Digitalisat, 2374Digitalisat (Visitationen).

Literatur

A: Günther, Ambergau, S. 554–555; Meyer, Pastoren II, S. 479–480; Seebaß/Freist, Pastoren I, S. 201; Siebern/Kayser, KD Kr. Marienburg, S. 187–188.

B: Wilfried Bartels: Wartjenstedt feiert seinen 850. Geburtstag, in: Heimatbuch für den Landkreis Wolfenbüttel 50 (2004), S. 142–146; Alfred Pinkepank: 850 Jahre Wartjenstedt. Festschrift zu den Feierlichkeiten vom 27. bis 29. Juni 2003 [Wartjenstedt 2003].


Fußnoten

  1. Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien I, S. 136.
  2. Bartels, S. 142.
  3. Sudendorf, UB I, Nr. 10, S. 9 (1226); Przybilla, Edelherren von Meinersen, S. 540. Die beiden Urkunden, die Kg. Richard am 20. Januar 1270 in Wartjenstedt ausgestellt haben soll (Siebern, KD Kr. Marienburg, S. 188; Pinkepank, S. 5) wurden in Berkhamsted (nordwestlich von London), ausgefertigt (RI V,1,2, Nr. 5468 und 5469; Urkunden gedruckt bei Sudendorf, UB I, Nr. 70 und 71).
  4. Petke, Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg, S. 468 ff.
  5. UB HS Hildesheim III, Nr. 588. Name lediglich mit „H.“ angegeben.
  6. UB HS Hildesheim IV, Nr. 415, und ebd. Nr. 837.
  7. Sudendorf, UB II, Nr. 451 (1353).
  8. RG Online, RG V 02240, http://rg-online.dhi-roma.it/RG/5/2240, 19.10.2018.
  9. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 6,1, S. 4 und 22 ff.; Butt, Herrschaft, S. 42 ff.
  10. Kayser, Kirchenvisitationen, S. 194 mit Anm. 367 (dort ist vermutlich vor „Barthol. Brendecken verus“ die Jahreszahl 1544 zu ergänzen).
  11. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 6,1, S. 5 und 83 ff.; Butt, Herrschaft, S. 58 ff.
  12. Beide Zitate: Spanuth, Quellen, S. 283 f.
  13. Evangelischer Kirchenstaat, S. 98.
  14. Alle Zitate: LkAH, A 9 Nr. 2374, Visitation 1942 (Antworten auf die Visitationsfragen II,14 und III,1). Detering bezieht sich nicht allein auf die zitierten Aussagen, sondern führt weitere Beispiele an.
  15. KABl. 1943, S. 1 ff.
  16. Kleinau, Neuer Text, S. 92.
  17. Reller, Kirchenverfassung, S. 111, 161 und 218.
  18. Meyer-Roscher, Streiflichter, S. 123.
  19. Kleinau, Neuer Text, S. 92 („dux Hinricus“), Kayser, Kirchenvisitationen, S. 194 („ist Brschw. lehen“).
  20. Evangelischer Kirchenstaat, S. 98.
  21. Meyer, Pastoren II, S. 479.