Bis 2017 KapG der KG Restorf | Sprengel Lüneburg, KK Lüchow-Dannenberg | Patrozinium: kein mittelalterliches Patrozinium bekannt1 | KO: Lüneburger KO von 1643

Orts- und Kirchengeschichte

Urkundlich ist das Dorf erstmals 1356 als Vyce belegt.2 1360 wird zwischen groten vitze und lutteken vitze unterschieden.3 Vietze gehörte zum Herrschaftsgebiet der Familie von Gartow, das 1360/64 der Johanniterorden erwarb, 1438/41 die Familie von Bülow und 1694 die Familie von Bernstorff.4 Die Landesherrschaft über das Haus Gartow war umstritten zwischen den Mgf. von Brandenburg und den Hzg. zu Braunschweig-Lüneburg, letztere setzten sich Ende des 16. Jh. schließlich durch (Teilfsm. Lüneburg, ab 1705 Kfsm. Braunschweig-Lüneburg bzw. Kurhannover). Die Gerichtsbarkeit in Vietze lag beim Haus Gartow (Patrimonialgericht, seit 1720 geschlossenes adliges Gericht).5 In französischer Zeit gehörte Vietze von 1810 bis 1813 zum Kgr. Westphalen (Kanton Gartow im Distrikt Salzwedel des Departements Niederelbe, ab 1811 des Departements Elbe). Danach wurde, nun im Kgr. Hannover, das Patrimonialgericht zunächst restituiert und 1850 wiederum aufgehoben. Vietze zählte seither zum Amt Gartow-Schnackenburg (1852: Amt Gartow). Mit der Annexion des Kgr. Hannover fiel das Dorf 1866 an das Kgr. Preußen. 1872 wurde das Amt Gartow in das Amt Lüchow eingegliedert und bei Einführung der Kreisverfassung 1885 kam Vietze zum Kr. Lüchow, der 1932 im Lkr. Dannenberg aufging (1951: Lkr. Lüchow-Dannenberg). Seit 1972 gehört Vietze zur neugegründeten Gemeinde Höhbeck, die im gleichen Jahr der Samtgemeinde Gartow beitrat. Zur Sozialstruktur des Dorfes schrieb der Ortsgeistliche 1967: „In Vietze dominieren die Schiffer“.6 Um 1813 lebten knapp 160 Menschen in Vietze, 1905 rund 290, 1946 fast 555 und 2004 etwa 450.
Kirchlich gehörte Vietze bis hinein ins 21. Jh. als Kapellengemeinde zur KG Restorf. Das Kapellengebäude steht knapp 500 Meter südsüdwestlich des alten Ortskerns.7 Das Alter der Kapelle lässt sich nicht sicher bestimmen, wahrscheinlich stammt das Gebäude aus der Mitte des 15. Jh. Ältere Gräber deuten jedoch darauf hin, dass „der Platz schon früher als Friedhof diente und hier also ein Gotteshaus gestanden haben könnte“, vielleicht eine Holzkapelle.8 Mittelalterliche Urkundenbelege zur Vietzer Kapelle sind nicht überliefert. Der mittelalterliche Schnitzaltar stammt vermutlich aus Restorf und kam anscheinend erst im 18. Jh. nach Vietze.9
Zusammen mit ihrer Muttergemeinde Restorf wechselte die filia Vietze wohl nach 1527 zur luth. Lehre. Der Restorfer Pastor Conradus Leen, 1543 im Protokoll der Kirchenvisitation genannt, war möglicherweise der erste luth. Prediger des Kirchspiels. Die Visitatoren charakterisierten ihn als einen frommen Mann, der nicht ungelehrt sei (vir pius et non indoctus).10 Schriftlich erwähnt ist die Kapelle Vietze erstmals im Jahr 1693, als P. Christoph Lehmann (amt. 1678–1717) gleichzeitig Pfarrer von Gartow und von Restorf war. Seinerzeit fanden pro Jahr zwei Abendmahlsgottesdienste in der kleinen Kapelle statt – früher seien es jährlich sieben gewesen.11
Ihr heutiges Aussehen erhielt die Kapelle bei einem Umbau 1754, der nach dem 24. Juni begann und bis zum 29. September abgeschlossen war: „Auf Johannis Tag a[nn]o 1754 ist in der Capelle zum letztenmahl der GottesDienst gehalten, in den nechstfolgenden Tagen aber das gantze Dach, und der größte Theil des Mauer-Werkes von Grund aus abgebrochen, dem Gebäude, welches vorhero eine runde Gestalt gegen Osten gehabt, eine gantz andere Gestalt von Massiven Mauerwerke gegeben, die alte übergebliebene Mauer, einige Fuß erhöhet, und ein gantz neues Dach darauf gesetzet, auch der gantze Bau, dermaßen vollbracht worden, daß am Michaelis Tage d[icte] a[nno] der erstere GottesDienst in dem neuen Gebäude gehalten werden können“.12
In der ersten Hälfte des 20. Jh. hielt der Restorfer Pfarrer dreimal im Jahr einen Abendmahlsgottesdienst in der Kapelle Vietze: An Lichtmess, an Johannis und an Michaelis. In den Unterlagen zur Visitation 1937 sind überdies fünf Predigtgottesdienste aufgeführt (Karfreitag, Pfingsten, Anfang August, Anfang November und Weihnachten).13 Die Zahl der Gemeindeglieder lag 1937 bei 370 und 1949 bei gut 550. In der Nachkriegszeit fand monatlich ein Gottesdienst in Vietze statt, seit den 1960er Jahren alle zwei Wochen.14 Der Restorfer Pfarrer versah seinerzeit auch die beiden verbundenen Gemeinden Holtorf und Kapern; Vietze war das größte Dorf in seinem Pfarrbezirk. 1967 erhielt die Kapelle eine Glocke, 1969 eine kleine Orgel. Anfang der 1990er Jahre bestand in der KapG Vietze ein eigener Frauenkreis und eigener Flötenkreis.15
Mit Errichtung der „Ev.-luth. Gesamtkirchengemeinde Kirchspiel an Elbe und Seege“, der Restorf und Vietze als Ortskirchengemeinden angehören, erhielt die bisherige KapG Vietze zum 1. Januar 2018 den Status einer Kirchengemeinde.16 Sie trägt den Namen „Ev.-luth. KG Vietze“. Nachdem im Januar 2024 auch die Gemeinden Trebel und Gorleben beigetreten waren, änderte die GKG ihren Namen in „Ev.-luth. GKG Kirchspiel Elbe-Heide-Seege“.17

Umfang

Vietze.

Aufsichtsbezirk

Bis 2017 siehe Muttergemeinde Restorf. – Mit Umwandlung der KapG in eine KG zum 1. Januar 2018 zum KK Lüchow-Dannenberg.

Patronat

Das Patronat ist an den Besitz des Hauses Gartow gebunden (dingliches Patronat). Besitzer waren zunächst die Familie von Gartow, ab 1360/64 der Johanniterorden, ab 1438 die Familien von Bülow und von Schulenburg und ab 1441 die Familie von Bülow allein. Seit 1694 besitzt die Familie von Bernstorff Haus Gartow. Das Patronat besteht noch heute.

Kapellenbau

Rechteckiger Saalbau, errichtet zwischen Ende des 14. Jh. und Mitte des 15. Jh., wahrscheinlich nach 1441.18 Krüppelwalmdach. Überwiegend Feldsteinmauerwerk, stellenweise Backsteinmauerwerk; Giebel Fachwerk mit Ziegelausfachung. Ostseite mit zwei Rundbogenfenstern; Nordseite mit Rundbogenfenster im Osten, einem kleinen Spitzbogenfenster und einem kleinen, vermauerten Spitzbogenfenster im Westen; Südseite mit einem Rundbogenfenster im Osten, einem kleineren Rundbogen- und einem kleinen Spitzbogenfenster im Westen; Westseite mit zwei kleinen rechteckfenstern. Spitzbogiges Portal mit Backsteinrahmung nach Süden. Im Innern flache Holzdecke und Westempore. 1754 Umbau, u. a. Ostteil des ursprünglich als Chorkirche mit halbrunder Apsis gestalteten KGb abgerissen, Dach abgebrochen, neuer Rechteckiger Ostschluss errichtet, neues Dach errichtet. 1798 neues Gestühl. 1901 Renovierung. 1960 Renovierung, u. a. Dach neu gedeckt, Sakristeiverschlag im Altarraum entfernt. 1967/68 südlich des Kapelleneingangs Aussegnungshalle errichtet (Stahlgerüst, Holzwände), über eine kurze Pergola verbunden mit der Kapelle. 1983 Umgestaltung Innenraum (u. a. neue Bänke), Aussegnungshalle abgebrochen.19 2013 Sanierung wegen Hochwasserschäden, vorher archäologische Untersuchung.20

Turm

Nordwestlich der Kapelle offener Glockenträger, erbaut 1968. Stahlkonstruktion mit Satteldach.

Ausstattung

Gemauerter Blockaltar mit spätgotischem, dreiflügeligem Schnitzretabel, farbig gefasst (wohl 15. Jh.), im Mittelschrein Kreuzigungsszene, flankiert von je vier, zweireihig angeordneten Heiligenfiguren (Katharina, Barbara, Dorothea, Margaretha, Georg, Nikolaus, Maria Magdalena, 1968 ergänzt: Elisabeth); in den beiden Seitenflügeln je sechs zweireihig angeordnete Apostelfiguren (Johannes, Andreas, Jakobus minor, Paulus, Thomas, Bartholomäus, Simon, Jakobus major, Matthäus; 1968 ergänzt: Petrus, Philippus, Thaddäus)21; in der Predella Abendmahlsgemälde (wohl 17. Jh.); Inschrift unten am Mittelschrein: „1. Cor.XI 28 Der Mensch Prüfe sich selbst, und also eße Er Von Diesem Brodt und Trincke Von Diesem Kelch“, Inschrift am unteren Rand der Seitenflügel: „Anno 1693“. 1693 Altar renoviert. 1754 Altar vermutlich von Restorf nach Vietze versetzt (1746 neuer Altar in Restorf).22 Vor 1895 Seitenflügel abgenommen. Zwischen 1901 und 1925 Retabel anscheinend auf dem Dachboden der Kapelle eingelagert. 1927–32 Restaurierung, teilweise Attribute ergänzt (Friedrich Buhmann, Hannover). 1967 Farbfassung rekonstruiert (Erich Brüggemann, Winsen an der Luhe). 1968 fehlende Figuren ergänzt, Attribute teilweise verändert. 1990 Altar restauriert. – Leicht erhöhte Holzkanzel, farbig gefasst (1686; Unterbau modern), an den Wandungen des polygonalen Kanzelkorbs vier Evangelistengemälde, Inschrift: „Jürgen Ditmer und Zillie Vossen haben diese Kanzel Gott zu Ehren verehret. Anno 1686“; wohl nach 1718 aus Gorleben nach Vietze versetzt.23 – Achtseitige Holztaufe, farbig gefasst; flaches Becken, stelenartiger Schaft.

Orgel

Vor 1969 Harmonium. 1969 Orgelneubau, ausgeführt von Emil Hamme (Arnum), 4 I/– mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 1585); Brüstungspositiv.24

Geläut

Eine LG, as’ (Bronze, Gj. 1968, Firma Rincker, Sinn).

Friedhof

Kirchlicher Friedhof bei der Kapelle, Mitte des 19. Jh. eingefriedet.25

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 1 Nr. 9396 (Pfarroffizialsachen); D 79 (EphA Lüchow); S 09 rep Nr. 1986 (Presseausschnittsammlung); S 11 a Nr. 7909 (Findbuch PfA).

Literatur & Links

A: Gemeindebuch KK Dannenberg, S. 40–43; Behn, Wendland, S. 164–167; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 1311; Jürries/Wachter, Wendland-Lexikon II, S. 510–511; Kelletat, Kirchen und Kapellen, S. 42; Manecke, Beschreibungen II, S. 167; Mithoff, Kunstdenkmale IV, S. 264; Sänger, Denkmaltopographie Lkr. Lüchow-Dannenberg, S. 119; Schmitz, Siedlungsnamen, S. 191; Wehking, Inschriften Lüneburg, A1,17; Wübbenhorst, Datierung, S. 107.

B: 300 Jahre Restaurierung des spätgotischen Schnitzaltars in der Kapelle zu Vietze, mit Beiträgen von Rüdiger Kröger, Hasso von Poser und Groß Naedlitz sowie Herbert Rosenau, hrsg. vom Kapellenvorstand Vietze, Dannenberg 1993; Anna Bartrow & Jens Schneeweiß: Kirche von unten – Aktuelle Forschungsergebnisse zur Feldsteinkapelle von Vietze, in: Hannoversches Wendland 19 (2019), S. 143–168; Johannes Borowski: Altarschrein in der Kapelle Vietze, in: Hannoversches Wendland 1 (1969), S. 93–95; Alfred Pudelko, Die Kapelle bei Vietze, Kr. Lüchow-Dannenberg. Ein Beitrag zur Lokalisierung von „villa hobeke“, in: Die Kunde 14 (1963), S. 236–23926.

Internet: Bildindex der Kunst & Architektur: Kapelle und Ausstattung; Denkmalatlas Niedersachsen: Kirche.

GND

1241836809, Kapelle Vietze (Höhbeck)


Fußnoten

  1. Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien I, S. 272.
  2. CDB A VI 34, Nr. 50 [Digitalisat]. Zum Ortsnamen vgl. Schmitz, Siedlungsnamen, S. 191.
  3. CDB A VI 37, Nr. 56 [Digitalisat] (Groten vitze ist auch ebd., Nr. 55 erwähnt).
  4. Dazu: Feilke, S. 33 ff. Im Ambttbuch zu Lüchow von 1548 ist Messkow unter jenen Dörfern verzeichnet, die Abgaben leisteten, jedoch nicht eigentlich zum Amt gehörten, Nippert, Register, S. 92 f. („Nachfolgende dorper gehoren nicht den herren und gevenn dennoch jahrlichs upthuß Luchow tho register an bede“).
  5. Puffahrt, Beiträge, S. 9; Krieg, Amtsbezirke Fsm. Lüneburg, S. 72 f.
  6. LkAH, L 5e, unverz., Restorf, Visitation 1967.
  7. Verschiedentlich wird ein Zusammenhang mit dem wohl im 14. Jh. wüstgefallenen Dorf lutteken vitze vermutet (Jürries/Wachter, Wendland-Lexikon II, S. 511; Sänger, Denkmaltopographie Lkr. Lüchow-Dannenberg, S. 119), den Bartrow & Schneeweiß, S. 168, nach der jüngsten archäologischen Untersuchung des Areals (2013) jedoch ablehnen.
  8. Bartrow & Schneeweiß, S. 168.
  9. Bartrow & Schneeweiß, S. 163; 300 Jahre, S. 11 (dicte anno = genannten Jahres).
  10. Kayser, Kirchenvisitation, S. 543.
  11. Bartrow & Schneeweiß, S. 147; 300 Jahre, S. 10.
  12. Zit. in 300 Jahre, S. 11; Bartrow & Schneeweiß, S. 166.
  13. LkAH, L 5e, unverz., Restorf, Visitation 1937.
  14. LkAH, L 5e, unverz., Restorf, Visitationen 1949 und 1967.
  15. LkAH, L 5e, unverz., Restorf, Visitation 1992.
  16. KABl. 2018, S. 9 ff.
  17. KABl. 2024 [in Vorbereitung].
  18. Ausführlich: Bartrow & Schneeweiß, S. 143 ff., speziell zur Datierung: S. 164 ff. Die ältere Literatur ging von einem höheren Alter aus, etwa Denkmalatlas Niedersachsen: 13. Jh.; Behn, Wendland, S. 164: um 1100 (nach Pudelko). Haberland, Geschichte 1, S. 69: „unser ältestes Gotteshaus“.
  19. LkAH, L 5e, unverz., Restorf, Visitation 1979: „Das ganze Gebäude ist nach Meinung des Pastors eine Fehlkonstruktion, deren Unterhaltung zu viel Geld kostet. Nun ist die Leichenhalle an die Kirche angebaut zu einer Zeit, als man von Kirchen aus nicht beerdigen durfte. Ich [i. e. der Sup. des KK Dannenberg] warf deshalb die Frage auf, ob man das ganze Gebäude nicht wieder abreißen sollte, weil man es nicht mehr braucht.“
  20. Bartrow & Schneeweiß, S. 149 ff.
  21. 300 Jahre, S. 28 f. und S. 40 ff.: Die Identifizierung der Apostelfiguren ist nicht in jedem Fall eindeutig.
  22. Bartrow & Schneeweiß, S. 163; 300 Jahre, S. 11: „Ohne es im einzelnen beweisen zu können, ist es nicht unwahrscheinlich, daß der 1693 genannte Restorfer Altar, der ja dort nicht mehr gebraucht wurde, in die Kapelle nach Vietze gekommen ist“.
  23. 300 Jahre, S. 18.
  24. Pape/Schloetmann, Hammer, S. 178.
  25. 300 Jahre, S. 12.
  26. Kritisch zu diesem Beitrag: 300 Jahre, S. 12; Bartrow & Schneeweiß, S. 148.