(Moritzberg)
Sprengel Hildesheim-Göttingen, KK Hildesheim-Sarstedt | Patrozinium: Christus | KO: Calenberger KO von 1569

Orts- und Kirchengeschichte

Moritzberg entstand als Ansiedlung um das im 11. Jh. unweit westlich Hildesheims gegründete Stift St. Mauritius.1 Während der Industrialisierung wuchs die Bevölkerung des kleinen, weitgehend kath. Stiftsdorfes stark an und der Ort entwickelte sich zu einer Arbeitersiedlung. 1810 zählte Moritzberg gut 700 Einwohner, 1890 knapp 2.300 und 1911, zur Zeit der Eingemeindung nach Hildesheim, etwa 4.600. Gleichzeitig stieg auch der Anteil der ev. Bevölkerung an und übertraf Ende des 19. Jh. jenen der kath. Die Einheimischen arbeiteten überwiegend in der Hildesheimer Industrie, u. a. in der Firma Senking (Küchenherde), der Zuckerraffinerie und der Gummifabrik Gebrüder Wetzell.2

Kirche, Ansicht von Nordosten, 1903

Kirche, Ansicht von Nordosten, 1903

Ein ev. Volksschullehrer lässt sich seit 1838 nachweisen, 1848 beschloss der gerade gewählte Schulvorstand den Kauf eines Schulgebäudes.3 Für die ev. Bevölkerung Moritzbergs war seinerzeit die St. Martini Gemeinde in Hildesheim zuständig, die 1857 in die Michaeliskirche umzog und auch deren Namen übernahm (Hildesheim, St. Michaelis). Die Gründung einer eigenständigen Kirchengemeinde scheiterte 1896 zunächst, da die zukünftigen Gemeindeglieder den Weg zur Michaeliskirche nicht als zu weit empfanden und zudem die finanziellen Belastungen fürchteten: Bislang waren sie „von den Kirchenlasten auf ihren Wunsch befreit“4, besaßen aus diesem Grund jedoch auch kein Wahlrecht für den Kirchenvorstand. Zum 1. März 1899 entschied dann das Konsistorium in Hannover: „Aus den lutherischen Einwohnern zu Moritzberg und Himmelsthür wird eine Kirchengemeinde, welche den Namen Moritzberg führt, gebildet.“5 Zur Wahl des neuen Kirchenvorstandes erschienen lediglich 24 Gemeindeglieder.6 Die neue Gemeinde war den übrigen Hildesheimer KG nicht gleichgestellt: Ihr Pfarrer gehörte nicht zum Geistlichen Stadtministerium und der Stadtsup. durfte die Gemeinde alle sechs Jahre visitieren, ein Recht, das ihm in den übrigen Gemeinden nicht zustand.7
Den Ausgangspunkt für den Kirchenbau hatte der Hildesheimer GSup. Eduard Hahn (amt. 1872–1901) bereits 1892 geschaffen, als er den Moritzberger Protestanten ein Gartengrundstück als Bauplatz überließ. Die Grundsteinlegung feierte die Gemeinde erst kurz nach Hahns Tod im Jahre 1901, allerdings auf einem anderen, kurz zuvor erworbenen Grundstück etwas weiter westlich. Im Februar 1904 konnte die Gemeinde zusammen mit GSup. Theodor Hoppe (amt. 1903–1925) den ersten Gottesdienst in der Christuskirche feiern. Das Gustav-Adolf-Werk, die Hildesheimer Zuckerraffinerie und die Gummiwerke Gebrüder Wetzell hatten den Bau finanziell unterstützt, entworfen hatte ihn der Hildesheimer Architekt Werner Söchtig (1859–1907). Das Kirchengebäude ist kreuzförmig konzipiert, die architektonische Gestaltung orientiert sich jedoch auch an Zentralbaukompositionen; die Ausmalung bewegte sich zwischen Historismus und Jugendstil. Sie wurde bei der Sanierung zwischen 1992 und 1994 trotz anfänglichen Widerstands des KV in Anlehnung an das Original neu geschaffen.8 Wiederholt auftretende Gewölberisse, ein häufiges Problem neugotischer Kirchen, machten im Laufe des 20. Jh. mehrere Sanierungen nötig.

Kirche, Ansicht von Westen

Kirche, Ansicht von Westen

Als erster Pfarrer der neuen Kirchengemeinde kam 1904 P. August Witte (amt. 1904–1928) nach Moritzberg, zunächst als Pfarrkollaborator, zwei Jahre später richtete das Konsistorium eine eigene Pfarrstelle für den Ort ein.9 Noch im Jahr der Kirchweihe gründete P. Witte einen Ortsverein des Gustav-Adolf-Werks und die Frauenhilfe. Von 1907 bis 1918 unterhielt die Kirchengemeinde zudem einen ev. Kindergarten (Warteschule, Kinderbewahranstalt), der dann mit Gründung einer städtischen Einrichtung geschlossen wurde. Im Jahre 1905 zählte die ev. Gemeinde etwa 2.250 Mitglieder in Moritzberg und gut 350 in Himmelsthür. Nach P. Witte seien dies überweigend „Arbeiterfamilien, und in sehr vielen dieser Familien herrscht sozialdemokratischer Geist“.10 Wittes Nachfolger P. Herbert Riege (amt. 1928–1950) formulierte 1938 anders: „Die Gemeinde der Christuskirche ist früher stark marxistisch gewesen.“11 P. Riege selbst war bereits 1931 in die NSDAP eingetreten, gründete im Mai 1933 die Ortsgruppe der DC in Hildesheim und unterstützte den Reichsbischof Ludwig Müller.12 Bei der KV-Wahl 1933 entfielen in der Christusgemeinde zwei Drittel der Stimmen auf die Liste der DC und damit deutlich weniger, als in Hildesheim insgesamt (80 Prozent).13 P. Riege saß für die DC auch im Landeskirchentag, der 1935 versuchte, Sup. Felix Rahn, Pfarrer in Sievershausen, gegen August Marahrens als Landesbischof durchzusetzen. Im Visitationsbericht 1938 gab er an: „Zugleich unterstütze ich die Bewegung der Deutschen Christen, die Evangelium und Gegenwart zusammenführen wollen.“14 Der Visitator ordnete ihn der „Thüringer Richtung“15 zu. Das Außerordentliche Kirchengericht16 verurteilte P. Riege 1947 wegen „Verstosses gegen Bekenntnis und Ordnung der Landeskirche“ zu einer dreijährigen Kürzung des Grundgehaltes um 10 Prozent.17 Seine Bitte um Pensionierung 1950 begrüßte der Stadtsup. Kurt Degener (amt. 1949–1957), da nun „endlich der Weg frei wird für eine geordnete Arbeit in der großen Christusgemeinde.18

Kirche, Blick zum Altar, um 1955

Kirche, Blick zum Altar, um 1955

Bei der Zerstörung Hildesheims am 22. März 1945 erlitt die Christuskirche kaum Schäden, allerdings merkte Günther Roeder im April 1945 in seinem „Bericht über die Kunstwerke und die kulturellen Einrichtungen in Hildesheim“ an: „Als Lager für Polen und Russen benützt, deshalb für längere Zeit nicht zu kirchlichen Zwecken zu verwenden.“19 Erst Anfang der 1950er Jahre feierte die Gemeinde wieder Gottesdienste in der Kirche. Nach Einschätzung von Rieges Nachfolger, P. Heinz Bauer (amt. 1950–1983) war die Christusgemeinde seinerzeit noch „weithin zerrüttet. […] Gemeindeglieder, die den Deutschen Christen nicht angehören konnten, haben sich zu anderen Gemeinden hingezogen gefühlt oder sind der Kirche ganz verloren gegangen.“20 Das Gemeindegebiet verkleinerte sich in den 1950er und in den 1960er Jahren: Zum 1. Oktober 1956 bildete sich in der nördlich gelegenen Ortschaft Himmelsthür eine eigenständige Gemeinde21 und zum 1. Januar 1968 gründete sich südlich die Zwölf-Apostel-Gemeinde.22 In den 1970er Jahren rief P. Bauer den „Verein Altenheim an der Christuskirche“ ins Leben und 1977 konnte die Einweihung des „Christophorus Heims“ gefeiert werden. Bei der Visitation zwei Jahre später merkte der Sup. an, die Gemeinde zeichne sich „durch ein erkennbar kirchliches Bewußtsein aus“, sie habe sich, so lobte er, „in hohem Maße an dem Projekt beteiligt“, das Projekt sei „wirklich ihr eigenes“.23 Seit 1987 pflegt die Christusgemeinde eine Partnerschaft mit der sächsischen KG Leipzig-Gundorf. Mittlerweile unterstützt die „Stiftung Christuskirche“ das kirchliche Leben in der Gemeinde und fördert vor allem deren diakonische Aufgaben. Der 2004 gegründete Förderkreis konzentriert sich auf die Finanzierung einer Diakoninnenstelle.

Umfang

Hildesheim, Ortsteil Moritzberg (zum Teil). Bis 1956 auch Himmelsthür (dann Himmelsthür, Paulus), bis 1968 auch Godehardikamp (dann Hildesheim, Zwölf Apostel).

Aufsichtsbezirk

Geistliches Ministerium der Hildesheimer Pfarrer unter Leitung des Stadtsup. 1924 KK Hildesheim, seit 1. Januar 1999 KK Hildesheim-Sarstedt.24

Kirchenbau

Weithin sichtbarer, neugotischer Sandsteinbau auf kreuzförmigem Grundriss, erbaut 1901–1904 (Architekt: Werner Söchtig, Hildesheim). Einschiffiger Bau mit Querhaus und Satteldach; im Nordwesten polygonaler Chor mit abgewalmtem Satteldach; hohe, spitzbogige Fenster an Langhaus und Chor, breitere, spitzbogige Maßwerkfenster an Querhaus; Strebepfeiler. Der Innenraum „indifferent zwischen Kreuzform und Zentralbau“25; Kreuzrippengewölbe, in querrechteckiger Vierung Sterngewölbe; schräggestellte Blendwände mit gemalten Scheinfenstern zwischen Chorraum und Querhausarmen; Emporen in Querhausarmen und Südostempore; floral-ornamentale, jugendstilartige Ausmalung. Neuausmalung in den 1930er Jahren. 1952–53 Innenrenovierung (Ausmalung übertüncht). 1975 Neuausmalung (ockergelb). 1992–94 Sanierung (statische Sicherung, Instandsetzung Maßwerkfenster, Ausmalung in Anlehnung an ursprüngliche Gestaltung26). 1996 wiederum statische Sicherungen nötig (Zuganker). Nach erneuter Rissbildung 2007–14 intensive Analyse des Gebäudes zur Identifizierung der Ursachen; die Ergebnisse sollen Grundlage bilden für passgenauere Planungen bei der Sanierung neugotischer Kirchen.

Turm

Massiver, viereckiger Turm im Südosten, flankiert von zwei Treppentürmen; polygonaler Helm, an den Ecken vier kleine Türmchen. 1997/98 Sanierung und Kupferdeckung.

Ausstattung

Schlichter Altar mit Kruzifix (Teil des ehemaligen Altaraufsatzes). – Holzkanzel. – Drei Buntglasfenster im Chor (1950).

Kirche, Blick zur Orgel, 1973

Moritzberg, Ev.-Luth. Christus Kirche, Orgel, 1973

Orgel

1904 Neubau durch P. Furtwängler & Hammer (Hannover), 18 II/P, pneumatische Traktur, Kegelladen (Opus 489), gestiftet von der Hildesheimer Zuckerraffinerie. 1909 Erweiterung durch Furtwängler & Hammer auf 20 II/P. 1931 Dispositionsänderung und Erweiterung durch Furtwängler & Hammer unter Mitarbeit von Ernst Palandt, 21 II/P. 1940 Dispositionsänderung und Erweiterung durch Orgelbau Emil Hammer (Hannover), 23 II/P. 1973 abgebaut, Orgelprospekt erhalten in Werkstatt Emil Hammer (Arnum). Orgelneubau 1972/73 durch Emil Hammer Orgelbau (Arnum), 35 II/P, mechanische Spieltraktur, elektrisch-pneumatische Registertraktur, Schleifladen (Opus 1675). Die Orgel war sehr eng konstruiert, so dass ein Großteil der Pfeifen nur schwer gestimmt werden konnte und sich das für den Raum notwendige Klangvolumen nicht entwickeln konnte. Daher 1994 Instandsetzung und Dispositionsänderung durch Rudolf von Beckerath (Hamburg), ausgeführt von Hans-Ulrich Erbslöh (Hamburg), 30 II/P, u. a. neue Pedallade. 2004 Umbau durch Hans-Ulrich Erbslöh (Hamburg), u. a. neue Setzeranlage, 30 II/P, mechanische Spieltraktur, elektrisch-pneumatische Registertraktur, Schleifladen. 2016 Reparatur und kleinere Umbauten durch Hans-Ulrich Erbslöh (Hamburg). – Orgel in der FKap: 1969 gebaut von Emil Hammer (Arnum), 6 I/aP, mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 1553); 2010 abgebaut und an eine Gemeinde in Israel abgegeben. Elektronische Orgel.

Geläut

Drei LG, I: d’; II: f’, III: as’ (alle Stahl, Gj. 1921, Bochumer Verein). – Früherer Bestand: Drei LG, I: d’, Inschrift u. a. „Ehre sei Gott in der Höhe“; II: f’, Inschrift u. a.: „Dienet dem Herrn mit Freuden“, Stiftung der Firma Radler; III: a’, Inschrift u. a. „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Friede sei mit euch!“, gestiftet von der Familie Wilhelm Gremmel (alle Bronze, Gj. 1903, Firma Radler, Hildesheim), LG I und II 1917 zu Rüstungszwecken abgegeben, 1921 durch Stahlglocken ersetzt. – In der FKap: Eine LG, es’’ (Bronze, Gj. 1967, Gebrüder Rincker, Sinn).

Weitere kirchliche Gebäude

Pfarrhaus mit Konfirmandensaal (Bj. 1906/07, Architekt Karl Murke, Hildesheim, Umbauten 1959/60 und 1985). – Gemeindehaus (Bj. 1929, teilweiser Neubau 1962–64, Umbau 1996/97). – Kindergarten (Bj. 1908, Warteschule, Kinderbewahranstalt, vor 1929 abgerissen).

Friedhof

Erster ev. Friedhof südlich der Triftstraße, seit 1857 in Benutzung, 1870 erweitert, 1922 eingeebnet. 1891 neuer ev. Friedhof im Bockfeld eröffnet, nahe des kath. Friedhofs, mehrfach erweitert. FKap 1913 geweiht, 1966 Neubau (Auferstehungskapelle, Architekt Dieter Oesterlen).

Liste der Pastoren (bis 1940)

1904–1928 August Christian David Witte. – 1928– Lic. Herbert Georg Ludwig Emil Riege.

Angaben nach: Meyer, Pastoren I, S. 505

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 5 Nr. 512 und 525 (Spec. Landeskons.); A 6 Nr. 5625 (Pfarrbestallungsakten); A 9 Nr. 1057Digitalisat (Visitationen); D 24 Nr. 274 (Gustav-Adolf-Werk); D 68 (EphA Hildesheim); D 69 (Geistliches Ministerium Hildesheim); D 74 (PfA); S 11a Nr. 7079 l (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: ab 1904
Trauungen: ab 1904
Begräbnisse: 1904
Kommunikanten: 1904
Konfirmationen: ab 1904

Vorher siehe Hildesheim, St. Michaelis (Hildesheim, Martini).
Verzeichnis der Gefallenen 1914–1919, 1939–1945.

Literatur

A: Arndt, Deutsche Christen; Meyer, Pastoren I, S. 505; Pape, Organographia Historica Hildesiensis, S. 283–292, S. 439–440; Twachtmann-Schlichter, Stadt Hildesheim, bes. S. 180–181.
B: Festschrift 100 Jahre Christuskirche auf dem Moritzberg. 1904 bis 2004, Hildesheim [2004]; Stiftsfreiheit und Bergdorf. 883 Jahre Moritzberger Geschichte, Hildesheim 1989; Günther Hein u. a. (Red.): 90 Jahre Christuskirche in Hildesheim-Moritzberg. 1904–1994, Hildesheim [1994]; Manfred Overesch: Der Augenblick und die Geschichte, Hildesheim am 22. März 1945, Hildesheim 2005; August Witte: Die Entwickelung der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Moritzberg, Hildesheim 1910.

GND

2109779-3, Evangelisch-Lutherische Christus-Gemeinde (Hildesheim); 7575627-4, Christuskirche (Hildesheim).


Fußnoten

  1. Dolle, Klosterbuch II, S. 698 ff.
  2. Hein, S. 40 f.
  3. Hein, S. 55 f.
  4. Witte, S. 11.
  5. KABl. 1899, S. 8.
  6. Festschrift, 14 f.
  7. Arndt, Deutsche Christen, S. 2 f.; LkAH, A 9 Nr. 1057.
  8. Hein, S. 22.
  9. KABl. 1906, S. 20.
  10. Zit. bei Hein, S. 51.
  11. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, Visitation 1938.
  12. Hein, S. 76 ff.; Arndt, Deutsche Christen, S. 80 ff.
  13. Arndt, Deutsche Christen, S. 112.
  14. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, Visitation 1938.
  15. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, Visitation 1938.
  16. KABl. 1946, S. 5 f.
  17. LkAH, B 7 Nr. 695.
  18. LkAH, B 7 Nr. 695, Bl. 99.
  19. Overesch, S. 50.
  20. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, Christuskirchengemeinde, Visitation 1951.
  21. KABl. 1956, S. 145.
  22. KABl. 1968, S. 3.
  23. LkAH, L 5h, unverz., Hildesheim, Christuskirchengemeinde, Visitation 1979.
  24. KABl. 1998, S. 211 f.
  25. Hein, S. 33.
  26. Hein S. 38 f.