Anstaltsgemeinde | Frühere Gemeinde | Sprengel Ostfriesland-Ems, KK Emsland-Bentheim | Patrozinium: Magdalena1 | KO: Keine Kirchenordnung
Orts- und Kirchengeschichte
Östlich der Stadt Lingen bezog das 11. Linienbataillon der hannoverschen Armee 1835 eine neue errichtete Kaserne. Nach Auflösung des Bataillons 1837/38 standen die Gebäude leer.2 Im Jahr 1854 erwarb das Innenministerium die ehemalige Kaserne und richtete hier eine Strafanstalt ein, in erster Linie für weibliche Gefangene.3 Die ersten Gefangenen zogen am 1. Juni 1854 ein.
Bereits 1855 richtete das Konsistorium eine eigene Pfarrstelle für die neue Strafanstalt ein, die P. Franz Heinrich Krumstroh (amt. 1855–1867) übernahm. Der ehemalige Exerzierschuppen der Kaserne wurde 1857 zu Kapelle und Schule umgebaut.4 In den Unterlagen zur Visitation gab P. Krumstroh 1859 an, seine Gemeinde zähle 265 Gefangene, darunter 26 Reformierte.5 P. Friedrich Ludwig Schliemann (amt. 1867–1904) bezeichnete seine Gemeinde 1903 als „lutherische Parochie der ‚Königlichen Strafanstalt und des Gefängnisses‘ zu Lingen, lutherische Magdalenen-Kirche zu Lingen“.6 Die Gemeinde, heißt es 1905, umfasse „außer den Gefangenen nur die Person des Geistlichen, nicht auch dessen Familie, nicht auch irgend einen Beamten der Anstalt“.7 Das Gefängnis hatte seinerzeit nur weibliche Insassen. Seit 1927 war die Strafanstaltspfarre nicht mehr besetzt und der Pastor der KG Lingen übernahm die Gefangenenseelsorge.
In den 1930er Jahren fand alle zwei Wochen ein Gottesdienst in der Gefängniskirche statt. In den Unterlagen zur Visitation 1940 schrieb P. Walter Kruse (amt. 1938–1959): „In der hiesigen Haftanstalt gilt es jetzt im Kriege besonders eingehende Seelsorgearbeit zu leisten. Unsere Anstalt ist vor allem Durchgangslager für wehrunwürdig gewordene Soldaten, die vom Kriegsgericht zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt sind. Was man da an Menschenschicksalen und schwersten seelischen Nöten kennen lernt, lässt sich garnicht beschreiben. Der Pastor ist ja der einzige, dem sie rückhaltlos alles anvertrauen dürfen und der auch für sie an die Angehörigen schreiben und mancherlei klären kann.“8 Im Jahr 1951 erhielt die Strafanstalt Lingen wieder einen eigenen Geistlichen; die Besetzung erfolgte jeweils durch das LKA Hannover „im Einvernehmen mit Justizminister“.9
Noch 1966 ist die Strafanstalt Lingen im Gemeindeverzeichnis der Landeskirche Hannovers als Kirchengemeinde aufgelistet, im Gemeindeverzeichnis 1989 nicht mehr.10 Formal aufgelöst wurde die Anstaltsgemeinde anscheinend nicht.
Umfang
Strafanstalt Lingen (nur Insassen).
Aufsichtsbezirk
Die luth. Pastoren in Lingen waren dem ref. Sup. in Lingen unterstellt. Seit 1871 war Meppen Sitz der ev.-luth. Suptur. für die Niedergrafschaft Lingen und das Hzm. Arenberg-Meppen (Aufsichtsbezirk Meppen). Seit 1. April 1926 KK Emsland-Bentheim.11
Kirchenbau
Rechteckiger Ziegelbau, als Kirche eingerichtet 1857 (vorher Exerzierschuppen). Satteldach, Ost- und Westgiebel bekrönt mit Kreuz. Nach Süden dreiteiliges Rundbogenfenster (Triforium), flankiert von zwei einfachen Rundbogenfenstern; nach Norden dreiteiliges Rundbogenfenster (Triforium), flankiert von einfachem Rundbogenfenster im Westen und Rundbogenportal mit Dreiecksgiebel im Osten. Im Innern Westempore.
Ausstattung
Schlichter, hölzerner Tischaltar. – Kruzifix an der Altarwand.
Orgel
1944 Orgel vorhanden, erbaut von der Firma Rohlfing (Osnabrück), 8 II/P, mechanische Traktur, Schleifladen.12
Liste der Pastoren (bis 1940)
1855–1867 Franz Heinrich Krumstroh. – 1867–1904 Friedrich Ludwig Schliemann. – 1905–1911 Ernst Heinrich Karl Dralle. – 1913–1918 Georg Eduard Ludwig Adolf Franz. – 1922–1924 Johann Wilhelm August Hans Standvoß. – 1924–1927 Alwin Friedrich Wilhelm Eduard Paulini.
Angaben nach: Meyer, Pastoren II, S. 82–83
Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)
A 9 Nr. 2808 (Visitationen); A 12e Nr. 49 (GSuptur. Hannover).
Kirchenbücher
Taufen: 1865–1905
Begräbnisse: 1865–1926
Kommunikanten: 1876–1951 (Lücken: 1931–Sep. 1934)
Konfirmationen: 1865–1925
Literatur
B: Wilfried Ehbrecht (Hg.): Lingen. 975–1975. Zur Genese eines Stadtprofils, Lingen (Ems) 1975; Brigitte Heron, Karl-Heinz Hilmes, Petra Holt, Inge Schulten & Volker Symens: 150 Jahre Justizvollzugsanstalt Lingen. Ein Grund zum „Feiern“?, Ankum 2004.
Fußnoten
- LkAH, A 12e, Nr. 49 [Digitalisat, Aufnahme 21, 41 und 65].
- Das Bataillon wurde mit dem 8. Linienbataillon vereinigt und als 6. Infanterieregiment nach Osnabrück verlegt, Ehbrecht, S. 261.
- Zur Geschichte der Strafanstalt vgl. Heron, Hilmes, Holt, Schulten & Symens, S. 18 ff. Im Bericht zur Visitation 1903 schrieb P. Friedrich Ludwig Schliemann (amt. 1867–1904): „Bis jetzt ist es Anstalt für weibliche Gefangene, doch sind jetzt auch männliche Gefangene hier (Bauhandwerker), zur Zeit 4 evangelische, und 10 katholische.“, LkAH, A 12e, Nr. 49 [Digitalisat, Aufnahme 21 und 41].
- Entwurfszeichnungen: Heron, Hilmes, Holt, Schulten & Symens, S. 21.
- LkAH, A 9, Nr. 2808 [Digitalisat, Aufnahme 5].
- LkAH, A 12e, Nr. 49 [Digitalisat, Aufnahme 21 und 41].
- LkAH, A 12e, Nr. 49 [Digitalisat, Aufnahme 65].
- LkAH, L 5f, Nr. 5 (Visitation 1940).
- Verzeichnis 1966, S. 116 (mit Anm. 1, S. 119). LkAH, L 5f, Nr. 5 (Visitation 1953).
- Verzeichnis 1966, S. 116; Verzeichnis 1989, S. 171.
- KABl. 1926, S. 10 f.
- LkAH, B 2 G 9, Nr. 1920 (Meldebogen für Orgeln, 28.06.1944).