Bis 2023 KapG der KG Trebel | Sprengel Lüneburg, KK Lüchow-Dannenberg | Patrozinium: kein mittelalterliches Patrozinium bekannt1 | KO: Lüneburger KO von 1643

Orts- und Kirchengeschichte

Das ursprünglich rundlingsähnliche Dorf ist urkundlich erstmals 1360 im Lüneburger Lehnregister als Ghorleue genannt.2 Der alte Dorfkern lag weiter nördlich in der Elbaue, wohl im 18. Jh. verlagerte sich der Ort nach Süden.3 Östlich des Dorfes lag eine Burg, die einst Besitz der Familie von Gartow gewesen war und die 1426 die Familie von Bülow kaufte (zusammen mit dem Dorf Gorleben).4 Eine Urkunde von 1449 unterscheidet zwischen Groten Ghorleve und Lutteken Ghorleve.5 Gorleben hatte vermutlich zur Gft. Lüchow gezählt, die 1320 an die welfischen Herzöge gekommen war (Teilfsm. Lüneburg). Im Ambttbuch zu Lüchow von 1548 ist Gorleve unter jenen Dörfern verzeichnet, die Abgaben leisteten, jedoch nicht eigentlich zum Amt gehörten.6 Nachdem die Familie von Bernstorff 1694 Haus Gartow zusammen mit weiteren Besitzungen und Rechten der Familie von Bülow gekauft hatte, darunter auch Gorleben, erhielt das Gebiet 1720 den Status eines geschlossenen adligen Gerichts (Patrimonialgericht) im Kfsm, Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover).7 In französischer Zeit gehörte Gorleben von 1810 bis 1813 zum Kgr. Westphalen (Kanton Gartow im Distrikt Salzwedel des Departements Niederelbe, ab 1811 des Departements Elbe). Danach wurde, nun im Kgr. Hannover, das Patrimonialgericht zunächst restituiert und 1850 wiederum aufgehoben. Gorleben zählte seither zum Amt Gartow-Schnackenburg (1852: Amt Gartow). Mit der Annexion des Kgr. Hannover fiel das Dorf 1866 an das Kgr. Preußen. 1872 wurde das Amt Gartow in das Amt Lüchow eingegliedert und bei Einführung der Kreisverfassung 1885 kam Gorleben zum Kr. Lüchow, der 1932 im Lkr. Dannenberg aufging (1951: Lkr. Lüchow-Dannenberg). 1972 wurde Meetschow eingemeindet, im gleichen Jahr trat Gorleben der Samtgemeinde Gartow bei. Der Ortspfarrer charakterisierte Gorleben 1963 als ein „Fischerdorf an der Elbe, in dem viele Schiffer wohnen“; zudem besaß der Ort ein Sägewerk mit „ca. 40 Arbeitern“.8 Um 1813 lebten knapp 255 Menschen in Gorleben, 1905 gut 385, 1946 etwa 525 und 1987 rund 485.
Kirchlich gehörte Gorleben bis hinein in die erste Hälfte des 21. Jh. als filia bzw. Kapellengemeinde zum Kirchspiel Trebel. Es ist nicht bekannt, ob Gorleben bereits in vorref. Zeit eine eigene Kapelle besaß.9 Auch die Bauzeit des heutigen Kapellengebäudes am Nordostrand des Dorfes ist nicht exakt bekannt. Vermutlich ist es ursprünglich in der Mitte des 17. Jh. errichtet worden, denn aus dieser Zeit stammen die wesentlichen Ausstattungsstücke (Altar, Taufe, Kanzel). 1873 wurde die Kapelle weitgehend neu erbaut. Das Patronat über die Kapelle liegt bis heute bei der Familie von Bernstorff als Besitzerin des Hauses Gartow.
Im 18. Jh. kam der Pastor aus Trebel jeweils „um den dritten Sonntag und einmal an den 3 hohen Festtagen“ – Weihnachten, Ostern und Pfingsten – nach Gorleben, um in der Kapelle einen Gottesdienst zu halten.10 In der ersten Hälfte des 20. Jh. fanden pro Jahr 23 Kapellengottesdienste statt (1909, 1930).11 Während der NS-Zeit bestand in Gorleben ein Arbeitsdienstlager, „ein Fremdkörper“, dessen „verschiedene Führer aus der Kirche ausgetreten sind und dessen Geist sich z. B. in der wachsenden Zahl der Sonntagsvergnügen bemerkbar macht“, wie der Lüneburger LSup. Johann Feltrup (amt. 1936–1954) im Bericht zur Visitation 1939 schrieb.12
Die Pläne zum Bau einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstäbe und zur Erkundung des Salzstocks Gorleben als mögliches Atommüllendlager war seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein beherrschendes Thema in der Gemeinde. Es beunruhigte „die Gemüter aufs höchste“ schrieb der Sup. des KK Dannenberg im Visitationsbericht 1978: „In manchen Familien muß das Thema gemieden werden, damit man sich nicht gänzlich entzweit […] Diese Not überschattet die Gemeindearbeit.“13 Wie auch der KV der KG Gartow beschloss der KapV Gorleben 1978, kirchliches Land nicht an die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK) zu verkaufen.
Eine Ende der 1960er Jahre geerbte ehemalige Scheune (Stiftung Rückriem) baute die KapG Gorleben mit finanzieller Unterstützung der Landeskirche Hannovers und des KK Dannenberg zu einem Gemeindehaus um, das 1985 eröffnet werden konnte. Als „Haus der Begegnung“ sollte es „Gesprächen und Begegnungen innerhalb der Gemeinde und auf Kirchkreisebene dienen“.14 Im Bericht zur Visitation 1991 merkte der Dannenberger Sup. an, das Haus habe sich „hervorragend bewährt“.15
Aus dem Kreuzweg für die Schöpfung, der 1988 von Wackersdorf nach Gorleben führte, ging die ökumenische Initiative „Gorlebener Gebet“ hervor, die seit 1989 zu Gebetsandachten einlud. Sie fanden zeitweise gleichzeitig mit den Kapellengottesdiensten statt; Kapellengemeinde und „Gorlebener Gebet“ verblieben in „einem friedlichen und nicht problemgeladenen Nebeneinander“, wie der Dannenberger Sup. 1992 formulierte.16 In seinem Bescheid zur Visitation in Trebel und Gorleben 1991 betonte der Lüneburger LSup. die fortgesetzten „Belastungen, unter denen die kirchliche Arbeit in den Gemeinden steht“, zog jedoch ein anerkennendes Fazit: „Man hat es verstanden, das notwendige Gespräch nach allen Seiten zu führen“.17 Insgesamt, so beschrieb der Sup. des KK Dannenberg die Situation, lebe die Gemeinde „mit dem ‚pro‘ und dem ‚contra‘, ohne es ausdrücklich zu thematisieren und zu artikulieren. So ist auch die nach aussen hin erkennbare ‚Neutralität‘ nachzuvollziehen und verständlich zu machen“.18 Gemeinsam mit den KG Gartow und Trebel sowie der KapG Meetschow hatte die Gemeinde Gorleben 1990 entschieden, ihre Salzabbaurechte am Salzstock Gorleben nicht zu veräußern. Eine mögliche Enteignung nahmen die Gemeinden dabei bewusst in Kauf.19 2020 schied Gorleben als mögliches Endlager aus und die Erkundung des Salzstocks wurde aufgegeben.
Mit dem Beitritt zur „Ev.-luth. Gesamtkirchengemeinde Kirchspiel Elbe-Heide-Seege“ – 2018 gegründet als „Ev.-luth. GKG Kirchspiel an Elbe und Seege“ – erhielt die bisherige KapG Gorleben zum 1. Januar 2024 den Status eine Kirchengemeinde (Ortskirchengemeinde innerhalb der GKG).20

Umfang

Gorleben.

Aufsichtsbezirk

Bis 2023 siehe Muttergemeinde Trebel. – Mit Umwandlung der KapG in eine KG zum 1. Januar 2024 zum KK Lüchow-Dannenberg.

Patronat

Seit 1694 Familie von Bernstorff als Besitzerin des Hauses Gartow (dingliches Patronat).

Kirchenbau

Kleiner, rechteckiger Saalbau, ausgerichtet nach Ostsüdosten, ursprünglich erbaut wohl Mitte des 17. Jh., weitgehend neu errichtet 1873.21 Satteldach. Fachwerk mit Backsteinsockeln und Backsteinausfachung (in einigen Gefachen gemustert). Rechteckige Sprossenfenster. Nach Westen Rechteckportal mit Pultdach. Im Innern flache Holzdecke, Westempore. 1964 Instandsetzung, u. a. Dachstuhl erneuert. 2004/05 Renovierung.

Turm

Über dem Westgiebel vierseitiger Dachreiter mit schiefergedecktem Pyramidenhelm, bekrönt mit Kugel und Wetterfahne. Fachwerk mit Ziegelausfachung. Rechteckige Schallfenster nach Norden und Süden, nach Westen Uhrziffernblatt.

Ausstattung

Blockaltar, Stipes gemauert und verputzt, Mensa aus Sandstein; Retabel in Renaissanceformen, farbig gefasst (um 1650), Abendmahlsgemälde, darüber Inschriftenfeld: „Jesu wahres Brod des Lebens, Hilff das ich doch nicht vergebens oder mir vielleicht zum schaden, sey zu deinem Tisch geladen Laß mich durch diß Seelen essen, Deine Liebe recht ermessen Das ich auch wie itzt auf erden mög ein gast im Himmel werden“ (9. Strophe des Liedes „Schmücke dich, o liebe Seele“, verfasst von Johann Franck zwischen 1646 und 1649); im Sprenggiebel Inschrift „Renoviert 1966“.22 – Erhöhte Holzkanzel mit polygonalem Kanzelkorb (17. Jh.), vor den Ecken des Kanzelkorbs marmorierte Säulchen, an den Wandungen Gemälde der vier Evangelisten (Halbfigur); an der Brüstung Inschrift: „Esa LVIII. Ruffe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie eine Posaune. Anno 16[…]“.23 – Hölzernes Taufbecken mit Deckel (1659), achteckiges Becken; dünner, gedrechselter Schaft; achtseitiger Fuß, am Becken Inschrift: „Anno 1659 had der ehrbar Iörien Ditmer vnd Stoffer Schúlt Gott zv Ehren machen lassen. M. Grvb.“ – Hölzernes Kruzifix (um 1944/45), gefertigt von einem bei Gorleben internierten Kriegsgefangenen.24

Orgel

1969 altes, abgängiges Harmonium vorhanden.25 1970 Orgelneubau, ausgeführt von Emil Hammer (Arnum), 4 I/–, mechanische Traktur, Schleifladen (Opus 1620); Brüstungsorgel.26

Geläut

Zwei LG, I: e’’ (Bronze, Gj. 1965, Firma Rincker, Sinn); II: fis’’ (Bronze, Gj. 1818, Johann Dietrich Bieber, Hamburg), Inschriften: „Durch Krieg zerstört 1813. Neü hergestelt durch die Gemeinde Gorleben 1818“ und „Fecit Ioh. Died. Bieber“.

Weitere kirchliche Gebäude

Gemeindehaus Haus der Begegnung (eingeweiht 1985).

Friedhof

Kirchlicher Friedhof im Süden des Ortes (Lüchower Straße), Eigentum der KapG, FKap (Bj. 1954).

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

D 79 (EphA Lüchow); S 09 rep Nr. 69, 239, 310, 1147 (Presseausschnittsammlung); S 09a Nr. 225–228, 230, 234, 248–251 (Ausschnittsammlung epd); S 11a Nr. 7907 (Findbuch PfA).

Literatur & Links

A: Gemeindebuch KK Dannenberg, S. 49–52; Aye/Kronenberg, Taufbecken, S. 119, Nr. 121; Behn, Wendland, S. 64–65; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 523; Jürries/Wachter, Wendland-Lexikon I, S. 249–251; Kelletat, Kirchen und Kapellen, S. 19; Manecke, Beschreibungen II, S. 170; Mithoff, Kunstdenkmale IV, S. 83; Sänger, Denkmaltopographie Lkr. Lüchow-Dannenberg, S. 106–107; Schmitz, Siedlungsnamen, S. 69–70; Wehking, Inschriften Lüneburg, Nr. 584, 610, 611.

B: Otto Puffahrt (Hg.): Historische Nachrichten von Gorleben in Faksimiles, Lüneburg 2010; Harry Wilkens: Schulchronik für die Schule zu Gorleben, Parochie Trebel, Inspektion Gartow Gemeinde Gorleben, Schnega 1989.

Internet: Bildindex der Kunst & Architektur: Kapelle; Denkmalatlas Niedersachsen: Kapelle.


Fußnoten

  1. Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien I, S. 271.
  2. Hodenberg, Lüneburger Lehnregister, Nr. 619 [Digitalisat]. Zum Ortsnamen und für weitere Belege vgl. Schmitz, Siedlungsnamen, S. 69.
  3. Jürries/Wachter, Wendland-Lexikon I, S. 249.
  4. Brosius, Regesten, Nr. 123–125. Die Familie von Gartow hatte Burg und Dorf an Hinrich Sack und seine Frau Mette verkauft, die die Güter 1426 weiterverkauften an die Familie von Bülow.
  5. Brosius, Regesten, Nr. 270.
  6. Nippert, Register, S. 92 f. („Nachfolgende dorper gehoren nicht den herren und gevenn dennoch jahrlichs upthuß Luchow tho register an bede“).
  7. Puffahrt, Beiträge, S. 7 und S. 21.
  8. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1963.
  9. Angeblich wurde um 1450 „das Kirchspiel Trebel mit einer Kapelle in Gorleben genannt“, Wilkens, S. 32.
  10. Manecke, Beschreibungen II, S. 170.
  11. Ahlers, Pfarrbuch 1909, S. 206; Ahlers, Pfarrbuch 1930, S. 258.
  12. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1939.
  13. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1978.
  14. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1985. Die Stiftung Rückriem umfasste insgesamt drei Gebäude, LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1978.
  15. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1991.
  16. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1991. Siehe auch gorlebener-gebet.de, 14.08.2024.
  17. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1991.
  18. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1991.
  19. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1991.
  20. KABl. 2024 [in Vorbereitung]; KABl. 2018, S. 9 ff.
  21. Sänger, Denkmaltopographie Lkr. Lüchow-Dannenberg, S. 107: „gründliche Renovierung“; Denkmalatlas Niedersachsen: „1873 unter Verwendung älterer Gefügeteile errichtet“.
  22. Wehking, Inschriften Lüneburg, Nr. 610.
  23. Wehking, Inschriften Lüneburg, Nr. 611.
  24. Behn, Wendland, S. 65.
  25. LkAH, L 5e, unverz., Trebel, Visitation 1969.
  26. Pape/Schloetmann, Hammer, S. 180.