Sprengel Stade, KK Stade | Patrozinium: Nikolaus (früher wohl Romanus1) | KO: Keine Kirchenordnung
Orts- und Kirchengeschichte
Deichhufendorf unmittelbar am Elbdeich nördlich von Jork. Das Ksp. Borstel bildete eine der Hauptmannschaften des Alten Landes und kam nach dem Dreißigjährigen Krieg unter schwedische Landeshoheit (1712 dänisch, 1715 an Kurhannover). Die politische Gemeinde wurde erst 1852 aus mehreren Bauerschaften gebildet (seit 1972 Ortsteil der Gemeinde Jork).
Kirchort war ursprünglich das weiter östlich gelegene Zesterfleth, dessen Kirche durch eine Sturmflut zerstört und zunächst in den heutigen Ortsteil Kohlenhusen verlegt wurde. Sie wird 1221 erstmals urkundlich erwähnt, als der Verdener Bf. Iso von Wölpe die Einkünfte der Kirche dem Andreasstift in Verden zuwies.2 1237 bestätigte Papst Gregor IX. Propst und Kapitel von St. Andreas u. a. den Besitz der Kirche.3 1304 kauften das Domkapitel von Verden und der Propst des Andreasstiftes a discretoviro Cristiano rectore ecclesie in Cesterfleete drei Joch Ackerland.4 Wohl 1380 und 1393 kam auch der dortige Bau zu Schaden, weshalb noch vor 1400 ein Neubau am heutigen Platz auf einer Wurt nahe dem ehemaligen bischöflichen Zehnthof errichtet wurde.
Von den Geistlichen erscheinen um 1300/04 Cristianus plebanus in Cesterfelete5, 1338 Peter Rokesberg, rector ecclesie in Cestersvlete.6 Derselbe erklärt 1345, dass er vor etwa 42 Jahren von dem damaligen Hamburger Bürger Radolf Gele zwölf Morgen Land bei dem Dorf Hamm gekauft habe, die zur Ausstattung eines Altars in der St.-Nikolai-Kirche in Hamburg verwendet worden seien.7 1440 war Conrad Sluter Pfarrer in Borstel.
Seit 1529 war die Pfarrkirche erneut dem Andreasstift in Verden inkorporiert.8 Die Pfarrpfründe wurde seither in der Regel an einen der ältesten Stiftsherren vergeben, der seinerseits einen mercenarius besoldete bzw. einen Teil der von diesem eingenommenen Abgaben erhielt. 1541 bis 1560 (oder etwas später) war Johann Sluter/Schlüter Stiftsherr an St. Andreas und zugleich Pastor verus in Borstel. Er verlor die Pfründe, als er als Domherr an das Hamburger Domkapitel wechselte.
Die Reformation setzte sich unter Ebf. Georg von Braunschweig und Lüneburg durch. Die Series pastorum beginnt mit Statius Achamann/Achimius (amt. um 1600–1648), doch liegen über seine unmittelbaren Nachfolger nur fragmentarische Angaben vor: M. Johann Conrad Reben, dessen Epitaph sich in der Kirche befindet, resignierte 1678 „wegen allgemeiner Schwäche“.9 1680 wird ein weiterer Geistlicher namens Reben genannt. Erst mit Ameling Loeneke (amt. 1709–1754) sind die Geistlichen in Borstel fortlaufend belegt. Nennenswert sind Georg Heinrich Ferdinand Baring (amt. 1830–1843), vorher Seminarinspektor in Stade, ein Förderer der Lehrerausbildung im Bezirk und Carl Ferdinand Cooper (amt. 1857–1882), der sich im Katechismusstreit gegen die Mehrheit der eigenen Gemeinde auf Seiten der Gegner des alten Landeskatechismus von 1792 positionierte.
Eine Schule ist in Borstel seit 1660 bezeugt. Innerhalb des Ksp. bestanden mehrere, teilweise nur kurzlebige Nebenschulen (Somflether Wisch, Lühe, Neuenschleuse, Hinterbrack).
Umfang
Die Ortschaften Borstel, Gehrden, Hinterbrack, Höhen, Lühe, Neuenschleuse und Wische; die Insel Hahnöfer Sand.
Aufsichtsbezirk
Archidiakonat Hollenstedt der Diözese Verden. – Nach der Reformation zur Altländischen Präpositur und mit der Neuordnung der Aufsichtsbezirke in den Hzm. Bremen und Verden am 1. Januar 1827 zur Insp. (1924: KK) Altes Land (1. Oktober 1958 mit dem KK Stade zum KK Stade-Altes Land vereinigt, seit 1. Januar 1976 KK Stade).
Patronat
Das Kollegiatstift St. Andreas in Verden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Patronat dem schwedischen Heerführer Hans Christoph von Königsmarck († 1663) verliehen und 1665 dessen Erben bestätigt.10 Später der Landesherr (bis 1871)
Kirchenbau
Einschiffige spätgotische Backsteinsaalkirche zu fünf Achsen mit fünfseitigem Chorschluss, im Kern vom Ende des 14. Jh. Umbauten im 17. und 18. Jh. Das Mauerwerk der Nordwand, das Brauthaus und der Chor wurden 1875 erneuert. Das ursprünglich flachgedeckte Innere wird seit 1770/72 von einer segmentbogenförmigen Brettertonne überspannt, die 1771 von Friedrich Nikolaus Schnibbe (Hamburg) ausgemalt wurde (Engel und Wolken, über dem Altar das Auge Gottes im Strahlenkranz, im Westen als Rahmung der Orgel ein gemalter Vorhang mit Posaune blasenden Engeln). Seitenemporen und doppelgeschossige Westempore (1770/72), auf deren Brüstung 16 Prophetenbilder, die wohl unter Verwendung älterer Teile von 1732 entstanden. Renovierung 1974/76.
Turm
Freistehender holzverschalter Glockenturm vor der Westwand, mit steilem achtseitigem Pyramidenhelm (1695).
Ausstattung
Überwiegend aus der Zeit der Erneuerung um 1770/72. Spätbarocker Kanzelaltar (1771/72 von Tischlermeister Paul Spangenberg, Borstel), mit lebensgroßen Figuren Moses und des Evangelisten Johannes, darüber Allegorien der Tugenden, als Krönung der Auferstandene. – Bronzetaufkessel auf vier Trägerfiguren, dem Lüneburger Meister Ulricus zugeschrieben (um 1325). – Triumphkreuzgruppe (um 1520). – Mondsichelmadonna (um 1475/1500). – Epitaphe der P. M. Johann Conrad Reben (amt. 1648–1678) und Ameling Köncke (amt 1709–1754). – Grabplatten des 17. und 18. Jh. – Gelbguss-Kronleuchter (1656). – Osterleuchter (1996).
Orgel
Standort war ursprünglich an der Nordseite der Kirche neben dem Altar. Die erste Orgel stammte wohl aus der zweiten Hälfte des 16. Jh. Instandsetzungen sind 1584 durch Matthias Mahn (Buxtehude), um 1616 durch Hans Bockelmann den Jüngeren und 1637/38 durch Gottfried Fritzsche (Altona-Ottensen). Arp Schnitger (Stade) nahm 1677 einen Umbau vor, II/P (OW, BW), eine weitere Reparatur. 1766 Johann Paul Geycke (Hamburg). 1770/71 wurde die Orgel durch Geycke aus dem Altarbereich auf die Westempore versetzt, das Gehäuse erneuert und um zwei Basstürme erweitert. 1808 Instandsetzung durch Johann Georg Wilhelmy (Stade). 1848/49 Umbau (Beseitigung des Brustwerks und Bau eines neuen Hinterwerks) sowie Änderung der Disposition im romantischen Zeitgeschmack durch P. Furtwängler (Elze). Restaurierung 1991/92 und 2012 durch Gebrüder Hillebrand (Altwarmbüchen). Rückführung auf den Zustand von 1770; 22 II/P (HW, BW), mechanische Traktur, Schleifladen. Denkmalorgel mit bis ins 16./17. Jh. zurückreichendem Pfeifenbestand.11
Geläut
Zwei LG, I: cis’ (Bronze, Gj. 1951, Friedrich Wilhelm Schilling, Heidelberg); II: e’ (Bronze, Gj. 1771, Joh. Nik. Bieber, Hamburg). – Eine SG in b’’ (Bronze, um 1200 oder 1280, außen am Turmhelm). – Eine größere Glocke (Bronze, Gj. 1763, J. N. Bieber, Hamburg) wurde im Zweiten Weltkrieg zu Rüstungszwecken abgeliefert und eingeschmolzen.
Weitere kirchliche Gebäude
1775 wurde an der Stelle eines brandzerstörten Vorgängerbaus ein neues Fachwerk-Pfarrhaus errichtet (2010 saniert), ein neues Schulhaus 1889, das Organistenhaus 1892.
Friedhof
Ursprünglich bei der Kirche. Eigentum der KG. 1868 Neuanlage am südlichen Ortsrand. FKap (Bj. 1965, Architekt: Axel Ziebur, Buxtehude; 1973 Umbau und Erweiterung).
Liste der Pastoren (bis 1940)
Um 1600–1648 Statius Achamann (Achamin). – 1678 Magister Johann Conrad Reben. – Um 1680 noch ein Reben. – 1709–1754 Ameling Koenecke. – 1755–1765 Johann Gotthard Schlichthorst. – 1765–1809 Johann Christian Wehber. – 1810–1812 Johann Erdwin Wesselhoeft. – 1813–1830 Nikolaus Wilhelm Wolff. – 1830–1843 Georg Heinrich Ferdinand Baring. – 1843–1857 Joachim Kerstens. – 1857–1882 Karl Ferdinand Cooper. – 1883–1888 August Ludwig Friedrich Gottfried Groschupf. – 1888–1895 Lie. Karl Ernst Friedrich Rudolf Cölle. – 1896–1928 Johannes Friedrich Karl August Meyer. – 1928–1964 Georg Wilhelm Enno Reinecke.
Angaben nach: Meyer, Pastoren I, S. 115
Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)
A 2 Nr. 206–221 (Pfarroffizialsachen); A 6 Nr. 1052–1060 (Pfarrbestallungsakten); A 8 Nr. 66 (CB); A 9 Nr. 2604 (Visitationen); A 12e Nr. 2(GSuptur. Hannover); B 18 Nr. 258 (Orgelsachverständiger).
Kirchenbücher
Taufen: ab 1715 (Lücken: 1727–1745, 1747–1750, 1753–1758)
Trauungen: ab 1715 (Lücken: 1727–1745, 1747–1750, 1753–1758)
Begräbnisse: ab 1715 (Lücken: 1727–1745, 1747–1750, 1753–1758)
Kommunikanten: ab 1831 (Lücken: 1924, 1925)
Konfirmationen: ab 1832
Literatur
A: Albrecht, Denkmaltopographie Lkr. Stade, S. 195–200; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 245 f.; Denkmalatlas Niedersachsen; Fock, Schnitger, S. 29; Golon/Kröncke, Orgeln, S. 98–101; Küster/Tegtmeyer, Orgelreichtum, S. 27; Merz, Generalkirchenvisitation, S. 91–95.
B: Carl Röper: 750 Jahre Borstel 1221-1971, [Jork 1971].
Fußnoten
- Hennecke/Krumwiede, Kirchen- und Altarpatrozinien II, S. 123.
- UB Verden I, Nr. 254; Jarecki, Verdener Andreasstift, S. 8.
- Schwarz, Papsturkunden, Nr. 270.
- UB Altes Land II, Nr. 559.
- UB Verden I, Nr. 771.
- UB Hamburg IV, Nr. 40.
- UB Hamburg IV, Nr. 254.
- Jarecki, Verdener Andreasstift, S. 9.
- Meyer, Pastoren I, S. 115.
- Röper, S. 162 f.
- KABl. 1952, S. 160; LkAH, B 1 A, Nr. 4587 (Verzeichnis der Denkmalsorgeln der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Stand 01.10.1958).