Sprengel Ostfriesland-Ems, KK Emsland-Bentheim | Patrozinium: Nazareth | KO: Keine Kirchenordnung

Orts- und Kirchengeschichte

Der 1620 erstmals belegte Name Twist bezeichnete ursprünglich ein Gebiet im Bourtanger Moor westlich der Ems. Die Zugehörigkeit des Twists war zwischen dem Bm. Münster und den Niederlanden umstritten; 1784 einigten sich beide Seiten auf den Grenzverlauf.1 Kurz zuvor hatte Bf. Maximilian Franz von Münster (amt. 1784–1801) den ersten Siedlern gestattet, sich im Moor niederzulassen: Gegenüber der bereits 1775 angelegten Moorsiedlung Adorf links der Aa in der Gft. Bentheim2 entstand so 1784 Hesepertwist rechts der Aa im Fbm. Münster. 1788 wurden die Siedlungsplätze neu vermessen und neuvergeben und mit Rühlertwist eine zweite münstersche Moorsiedlung angelegt.3 Die beiden neuen Ortschaften zählten zum Amt Meppen (bzw. Emsland) im Fbm. Münster. Nach den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses fiel die Landesherrschaft über das Amt Emsland 1803 an den Hzg. von Arenberg-Meppen. Im Jahr 1810 annektierte Frankreich das Hzm. Arenberg-Meppen und bis 1813 gehörten Hesepertwist und Rühlertwist zum Kanton Wesuwe im Arrondissement Neuenhaus des Département Lippe im Kaiserreich Frankreich. 1815 fiel das Emsland an das Kgr. Hannover, der Hzg. von Arenberg-Meppen behielt jedoch zahlreiche Rechte (Standesherrschaft, aufgehoben 1875). Seit 1827 waren Hesepertwist und Rühlertwist Teil des Mediatamts Meppen des 1826 innerhalb des Kgr. Hannover neugeschaffenen Hzm. Arenberg-Meppen. Mit der Annexion des Kgr. Hannover fielen die beiden Orte 1866 an das Kgr. Preußen. Bei Einführung der Kreisverfassung 1885 kamen sie zum Kr. Meppen (1977 Lkr. Emsland). 1964 schlossen sich Rühlertwist und Hesepertwist zur Gemeinde Twist zusammen, 1968 wurde Schöninghsdorf eingemeindet und 1974 folgten Adorf, Neuringe, Rühlerfeld und Rühlermoor. Im Jahr 1823 lebten knapp 530 Menschen in Heseper- und Rühlertwist, im Gebiet der späteren Gemeinde Twist einschließlich der Eingemeindungen waren es 1848 gut 1.440, 1925 fast 3.410, 1950 etwa 4.740 und 2022 rund 9.740.

Kirche, Ansicht von Nordwesten, um 1954

Kirche, Ansicht von Nordwesten, um 1954

Die münsterschen Moorsiedlerfamilien rechts der Aa in Hesepertwist und Rühlertwist waren mehrheitlich kath., die bentheimischen Siedlerfamilien in Adorf links der Aa überwiegend ev.-ref. Im Jahr 1799 wurde bei dem 1788 an der Grenze zwischen Heseper- und Rühlertwist angelegten Friedhof ein Pfarrhaus mit Betsaal eingerichtet, 1819/20 folgte der Bau der kath. Kirche St. Georg.4 Die ev.-ref. Familien Adorfs gehörten zur Parochie Veldhausen. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs lebten nur wenige ev.-luth. Familien in den Twister Moorsiedlungen, „teils Zollbeamte und zum anderen Teil Beschäftigte beim Heseper Torfwerk“.5 Sie wurden 1923 in die KG Meppen eingepfarrt.6 In einer Schulbaracke in Hesepertwist hielt der Meppener Sup. Wilhelm Funke (amt. 1931–1952) in „einem etwas seltenen Turnus“ ev.-luth. Gottesdienste.7
Mit dem Zuzug Geflüchteter nach Ende des Zweiten Weltkriegs wuchs die ev.-luth. Bevölkerung in der KG Meppen stark an und seit Herbst 1945 wurden mehrere Seelsorgebezirke eingerichtet, für die jeweils ein Geistlicher zuständig war.8 Seit Mai 1948 war P. coll. Günther Herbst (amt. 1948–1949) in Twist tätig, gefolgt von P. coll. Wilhelm Nöh (amt. 1949–1951).9 Die „rapide Aufwärtsentwicklung der Erdölindustrie“ ließ die ev.-luth. Gemeinde im Pfarrbezirk Twist weiter wachsen.10 Zum 1. Oktober 1950 ordnete das LKA Hannover die KG Meppen neu und richtete insgesamt fünf Kapellengemeinden ein: Dalum-Hesepe, Haren, Haselünne, Herzlake sowie Rühler-Twist.11 Diese KapG waren hinsichtlich Kirchenbuchführung (seit 1951), Verwaltung und Finanzwesen eigenständig; sie gehörten zwar weiterhin formal zur KG Meppen, waren jedoch „sachlich den Kirchengemeinden gleichgestellt“ (KapG emsländischer Art).12
Zum Gottesdienst versammelte sich die KapG Rühler-Twist zunächst in verschiedenen Schulräumen. Während der Amtszeit von P. Gerhard Dieken (amt. 1951–1954) konnte die Gemeinde mit finanzieller Unterstützung des Lutherischen Weltbunds und der Landeskirche 1953/54 eine eigene Kirche errichten. Bei der Einweihung am 8. August 1954 erhielt sie den Namen Nazarethkirche. Im Westteil der Kirche war bis zur Fertigstellung des Pfarrhauses im Juli 1955 die Pfarrwohnung untergebracht.13

Kirche, Ansicht von Südwesten, 1980

Kirche, Ansicht von Südwesten, 1980

In den Unterlagen zur Visitation gab P. Hansgeorg Köhler (amt. 1954–1958) an, die Gottesdienste folgten der Agende der Altpreußischen Union.14 Neben den sonntäglichen Gottesdiensten in der neuen Kirche fand jeweils alle zwei Wochen ein Gottesdienst in Rühlerfeld (Schule) und in Fehndorf (kath. Kirche) statt sowie monatlich einer in Schöninghsdorf (kath. Kirche). Die Gemeinde zählte 1956 knapp 895 Gemeindeglieder, „überwiegend verdienen sie ihren Lebensunterhalt in der Öl- und Torfindustrie“.15 Als erste der Meppener KapG erhob das LKA Hannover die KapG Rühler-Twiste zum 1. April 1959 zu einer KG, sie erhielt den Namen „Ev.-luth. KG Rühlertwist“.16 Die gleichzeitig eingerichtete Pfarrstelle übernahm P. Winfried Bormann (amt. 1958–1962). Nach der Fusion der beiden Orte Hesepertwist und Rühlertwist änderte die KG zum 16. Oktober 1964 ihren Namen in „Ev.-luth. Nazareth-KG Twist“.17
1958 gründete sich ein Kirchenchor und 1960 ein Posaunenchor. Im Jahr 1961 eröffnete die Gemeinde eine eigene ev. Bücherei und 1965 konnte sie neben der Kirche das Gemeindehaus einweihen. Mit dem 1973 eröffneten Gemeindehaus in Rühlerfeld kam ein weiteres Gebäude hinzu (es bekam 2003 den Namen „Lutherhaus“). Im Rahmen der Partnerschaft zwischen der hannoverschen und der sächsischen Landeskirche knüpfte die Nazarethgemeinde Kontakte zur Kirchgemeinde Rübenau im Erzgebirge.18 In seinem Bericht über die Visitation 1974 zitierte der Meppener Sup. eine Passage aus dem vorhergehenden Bericht von 1968: „Es ist manchmal erstaunlich, was in der doch zahlenmäßig nicht großen Gemeinde alles an Gemeindearbeit verwirklicht wird. Die Kirchenvorsteher, ihre Familien und die Gemeinde machen dabei wie eine große Familie mit.“19
Zum 1. Januar 2002 wandelte das LKA Hannover die Pfarrstelle Twist in eine Dreiviertelstelle um.20 Die Zahl der Gemeindeglieder lag 2004 bei 1.100. Neben der Kirche legte die Gemeinde 2003/04 den „Garten des Nazareners“ an, einen Heilkräuter- und Bibelgarten.21 Seit 2012 ist die KG Twist pfarramtlich verbunden mit der KG Dalum.

Umfang

Twist (bis 1964 Rühler-Twist und Heseper-Twist) mit Twist-Siedlung und Twist-Bült sowie Hebelermeer, Rühlermoor, Rühlerfeld und Schöninghsdorf. Bis 1. Juli 1980 auch Fehndorf (dann zur KG Haren).22 Seit 1. Juni 1986 auch Adorf und Neuringe (vorher KG Hoogstede).23

Aufsichtsbezirk

Mit Gründung der KG 1959 zum KK Emsland-Bentheim.

Kirchenbau
Kirche, Ansicht von Südosten, um 1954

Kirche, Ansicht von Südosten, um 1954

Langgestreckter Bau mit halbrundem Ostschluss, erbaut 1953/54 (Architekt: Max Berling, Osnabrück). Walmdach. Ziegelwände mit Lisenengliederung. Unterhalb der Traufe umlaufendes, horizontales Fensterband (im Osten unterbrochen); im Westteil Rechteckfenster jeweils neun Rechteckfenster nach Norden und Süden. Rechteckportal nach Westen, Nebeneingänge nach Norden und Süden. Im Innern hoher, offener Dachstuhl mit holzverkleideten Deckenflächen (Decke erinnert an umgedrehten Schiffsrumpf); Westempore. 1959 Westwalm erbaut (Wetterschutzdach). 1969 Innenrenovierung. 1992 farbige Bleiverglasung. 1999 neue Treppe.

Turm

Im Westen längsrechteckiger, offener Dachreiter mit Walmdach, bekrönt mit Kugel und Kreuz. 2002/03 Turmsanierung.

Ausstattung

Hölzerner Altartisch (1954). – Niedrige Kanzel mit Holzbrüstung (1954). – Achtseitiger, hölzerner Taufständer (1954).

Orgel

Orgelpositiv, erbaut 1956 von Alfred Führer (Wilhelmshaven), 5½ I/P, mechanische Traktur, Schleifladen („Emslandpositiv“).

Geläut

Drei LG, I: cis’’, Inschrift: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen und ob sie desselben vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen“, Jes 49,15; II: e’’ Inschrift: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich“, Ps 106,1; III: fis’’, Inschrift: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ (alle Bronze, Gj. 1954, Firma Rincker, Sinn).

Weitere kirchliche Gebäude

Pfarrhaus (Bj. 1954/55). – Lutherhaus in Rühlerfeld (Siedlungshaus, erworben 1972).

Friedhof

Kein gemeindeeigener Friedhof. Drei kommunale Friedhöfe.

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

E 9 Nr. 833–837 (AfBuK); L f5 Nr. 117–118, 986 (LSuptur. Osnabrück); S 09 rep Nr. 2171 (Presseausschnittsammlung); S 11a Nr. 8206 (Findbuch PfA).

Kirchenbücher

Taufen: ab 1951
Trauungen: ab 1951
Begräbnisse: ab 1951
Kommunikanten: ab 1951
Konfirmationen: ab 1951
Früher siehe Meppen.

Literatur

A: Stieglitz, Handbuch, S. 453–454; Weichsler, Hdb. Sprengel Osnabrück, S. 109.

B: 225 Jahre Twist. Moor ohne Grenzen. 1786–2011, hrsg. von der Gemeinde Twist, Twist 2011; Horst Bechtluft: Die Historie vom Twist. Skizzen zur Geschichte einer Grenzlandschaft und der ersten münsterschen Kolonie im Bourtanger Moor, Meppen 1977; Ulrich Hirndorf: 50 Jahre Nazarethkirche Twist 1954–2004, Twist 2004.

GND

16170514-5, Evangelisch-Lutherische Nazarethkirchengemeinde (Twist); 7579936-4, Evangelisch-Lutherische Nazarethkirchengemeinde


Fußnoten

  1. 225 Jahre, S. 18 ff. und S. 75.
  2. 225 Jahre, S. 10 und S. 31 ff.
  3. Bechtluft, S. 93 ff.
  4. Bechtluft, S. 127 ff.; 225 Jahre, S. 91.
  5. LkAH, L 5f, Nr. 117 (Visitation 1956).
  6. KABl. 1923, S. 139 f.
  7. Funke, Meppen, S. 5.
  8. LkAH, L 5f, Nr. 54 (Visitation 1948).
  9. LkAH, L 5f, Nr. 54 (Visitation 1948); Funke, Meppen, S. 19 f.
  10. Hirndorf, S. 21.
  11. KABl. 1950, S. 94.
  12. Funke, Meppen, S. 16: „Am 1.10.1950 wurden dann selbständige Kapellengemeinden gegründet, sachlich den Kirchengemeinden gleichgestellt, mit eigener Finanzverwaltung und Kirchenbuchführung (diese ab 1.1.1951). Es waren 5: Haren-Rütenbrock mit Pfarrsitz in Haren, Haselünne, Dalum, Twist, Herzlake. In den Gesamtgemeinden Papenburg (Kreis Aschendorf), Lingen, Bentheim-Nordhorn wurde die entsprechende Regelung gleichzeitig getroffen.“
  13. Hirndorf, S. 23.
  14. LkAH, L 5f, Nr. 117 (Visitation 1956).
  15. LkAH, L 5f, Nr. 117 (Visitation 1956).
  16. KABl. 1959, S. 55.
  17. Hirndorf, S. 7.
  18. Hirndorf, S. 65. Allgemein: Cordes, Gemeindepartnerschaften, S. 38 ff.
  19. LkAH, L 5f, Nr. 117 (Visitation 1974).
  20. KABl. 2002, S. 46.
  21. Hirndorf, S. 31 ff.; siehe auch bibelgarten-twist.de, 22.11.2023.
  22. KABl. 1980, S. 113.
  23. KABl. 1986, S. 95.