KapG der KG Visselhövede | Sprengel Stade, KK Rotenburg | Patrozinium: St. Nikolaus | KO: Keine Kirchenordnung

Orts- und Kirchengeschichte

Östlich des heutigen Wittorfs wurden 1989 archäologische Funde gemacht; in den folgenden Grabungen konnte u. a. eine kurzlebige spätsächsiche Siedlung des 8. Jh. nachgewiesen werden, die spätestens im frühen 9. Jh. aufgegeben wurde.1 Schriftlich ist Wittorf erstmals in einem Tafelgutverzeichnis des Verdener Bf. Luder von Borch (amt. 1231–1251) nachgewiesen, das vermutlich zwischen 1237 und 1246 entstand: Als Teil der Villikation Visselhövede sind hier zwei Höfe in Wittorpe genannt.2 Neben den Verdener Bischöfen zählte u. a. die Familie Schleppegrell zu den Grundbesitzern in Wittorf.3 Wohl seit 1288 zählte das Dorf zum weltlichen Territorium der Bischöfe von Verden (Hochstift Verden) und wurde später Teil des Amtes Rotenburg (Vogtei Visselhövede).4 Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) wurde das Hochstift Verden säkularisiert und blieb zusammen mit dem ebenfalls säkularisierten Hochstift Bremen unter schwedischer Herrschaft (vereinigte Herzogtümer Bremen-Verden). Im Großen Nordischen Krieg (1700–1721) besetzte Dänemark 1712 die beiden Territorien und 1715 konnte das welfische Kfsm. Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover) Bremen und Verden erwerben (1719 von Schweden gegen weitere Zahlung anerkannt). In französischer Zeit zählte Wittorf 1810 kurzzeitig zum Kgr. Westphalen und dann bis 1813 zum Kanton Walsrode im Arrondissement Nienburg des Departements der Wesermündung im Kaiserreich Frankreich. Danach gehörte Wittorf, nun im Kgr. Hannover, wieder zum Amt Rotenburg. Mit der Annexion Hannovers wurde das Dorf 1866 preußisch. Bei Einführung der Kreisverfassung kam Wittorf 1885 zum Lkr. Rotenburg/Hann. (1977 mit Lkr. Bremervörde fusioniert zum neuen Lkr. Rotenburg (Wümme) ). Zu Wittorf gehören auch die Ortsteile Bretel, Düsternheide und Grapenmühlen. 1974 wurde Wittorf in die Stadt Visselhövede eingemeindet. Von 1903 bis 1958/63 besaß das Dorf mehrere Bahnhöfe (Wittorf, Wittorf Ost, Bretel; Strecke Bremervörde–Walsrode).5 Im Jahre 1740 lebten knapp 290 Menschen in Wittorf, 1813 gut 340, 1948 etwa 1.450, 1963 rund 1.100 und 2020 etwa 1.200.
Kirchlich gehört Wittorf zur KG Visselhövede. 1605 ließ der ev. Verdener Bf. Philipp Sigismund (amt. 1586–1623) hier eine Jagdkapelle errichten. Baujahr und Bauzeit sind aufgrund der alten, mit Glasmalereien geschmückten Fenster bekannt, deren Inschriften im Lagerbuch der KG Visselhövede überliefert sind. Möglicherweise ersetzte der Bau eine ältere, vorref. Kapelle, deren Existenz aufgrund des Flurnamens „Sunt Niclasholt“ vermutet wird.6 Um 1630 kam der Visselhöveder Pastor einmal im Monat nach Wittorf, um in der Kapelle einen Gottesdienst zu feiern, später einmal im Vierteljahr.7 1776 erhielt das Dorf ein Schulhaus. Seit 1903 oblag dem ersten Lehrer des Dorfes der Küster- und Organistendienst in der Kapelle; zuvor hatte dies zu den Aufgaben des ersten Lehrers der Schule in Visselhövede gezählt.8
In der nach Ende des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der jährlichen Gottesdienste in Wittorf von fünf (1938) auf acht bis zehn (1951).9 Darüber hinaus stellte die Gemeinde das Kapellengebäude zunächst auch für Gottesdienste der freikirchlichen Missouri-Synode zur Verfügung, gab dies jedoch später wieder auf, da die Missourier „in sehr übler Weise mit Care-Paketen gearbeitet“ hätten, wie P. Johannes Janßen (amt. 1931–1970) schrieb (1951, seit 1953 eigene freikirchliche Kapelle).10
Nach der Visitation der KG Visselhövede regte der Sup. des KK Rotenburg 1951 an, Wittorf zu einem zweiten Mittelpunkt des kirchlichen Lebens in der Gemeinde zu machen: „Wittorf hat bisher nur eine Reihe von Gottesdiensten im Jahr und ist Visselhövede immer böse, dass, obwohl in Visselhövede zwei Geistliche sind, dort nicht öfter Gottesdienst stattfindet.“11 Nach Einbau einer Heizung in der Kapelle im Herbst 1961 stieg die Zahl der Gottesdienste.12 1963 richtete das Landeskirchenamt eine Pfarrvikarstelle mit Sitz in Wittorf ein, die jedoch nur kurzzeitig mit Pfarrvikar Hajo Dirksen (amt. 1963–1965) besetzt war.13 Im Bericht zur Visitation 1969 heißt es, der Aufbau eines Gemeindebezirks Wittorf funktioniere nicht, da die umliegenden Dörfer – Lüdingen, Dreeßel, Jeddingen sowie Bleckwedel (mit Egenbostel, Hof Tadel, Königshof und Lehrden) – sich eher zur Kirche in Visselhövede orientierten als zur Kapelle in Wittorf. Andererseits zeichne sich die KapG durch einen hohen Besuch der zweiwöchentlichen Gottesdienste aus; überdies seien Eigeninitiative und Spendenaufkommen erstaunlich für eine kleine Gemeinde.14 1982 konnte ein Gebäude als Pfarrhaus erworbenen und um Gemeinderäume erweitert werden.

Umfang

Wittorf

Kapellenbau

Rechteckiger Fachwerkbau mit dreiseitigem Chorschluss, errichtet 1605. Satteldach, nach Osten abgewalmt. Fachwerk mit Ziegelausfachung, Westgiebel mit vertikaler Holzverschalung. Nach Westen flachbogiges Portal, darüber querrechteckiges Fenster; flachbogiger Nebeneingang nach Norden; im Westen des Schiffs je zwei Rechteckfenster, dann zwei gekuppelte Flachbogenfenster; am Chorschluss umlaufendes Fensterband aus gekuppelten Flachbogenfenstern. Im Innern flache Balkendecke, keine Emporen. 1787 Gebäude nach Westen verlängert (3,5 Meter, ursprünglich hatte der Bau die Form eines gestreckten Achteckes), außerdem wohl Außenwände verbrettert. 1966/67 renoviert. 1985–87 Sanierung (u. a. äußere Holzverkleidung entfernt, Vorbau über westlichem Eingang entfernt, Kapelle um 50 Zentimeter angehoben und neu fundamentiert, Anbau entfernt). 2011/12 Giebelsanierung (Verschalung angebracht) und Schädlingsbekämpfung (Kirche zur Begasung verpackt).

Fenster

Im Chor 16 Buntglasfenster (2005, Henning Diers, Hassel). Nach den Angaben im Lagerbuch der KG Visselhövede besaß die Kapelle ursprünglich Fenster mit Glasmalereien und folgenden Inschriften: „Der Hochwirdige in Godt Durchleuchtiger Hochgebohrner Fürst und Herr Philippus Sigismun, Postulierter Bischof Dero Stifter Osnabrück und Verden, Thum-Probst zu Halberstadt, Hertzog zu Braunschweig und Lüneburg 1605“, „Christoph von der Kedenborg 1605. H[err] Anthonius Grubenhagen Pastor darsulbest. Geverdt Schlepegrell 1605. Johann Badenhoph vaf. darsulbst 1605“ sowie „H[err] Asche von Kampe, Thumherr zu Minden Hoffjuncker“.

Turm

Zentraler, vierseitiger, verschalter Dachreiter mit vierseitigem, verkupfertem Pyramidenhelm, bekrönt mit Kugel und Wetterfahne (Inschrift: „H. R. 1736“). Rechteckige Schallfenster mit horizontalen Lamellen, davor Uhrziffernblätter.

Ausstattung

Blockaltar mit gemauertem Stipes. – Hölzerners Altarretabel mit Gemälden und verzierendem Schnitzwerk (dat. 1658, J. Jastor), architektonischer Aufbau, vier korinthische Säulen rahmen die Nebenfelder und tragen Gebälk; im Mittelfeld Gemälde mit Kreuzigungsszene, in den Nebenfeldern Gemälde mit Geburt und Taufe Christi; oberhalb des Gebälks über dem Mittelfeld Gemälde mit Grablegung Christi; in der Predella Abendmahlsbild; Altar Ende des 18. Jh. aus der abgebrochenen Schlosskapelle Kettenburg erworben; Bekrönung bei Einbau in Wittorf entfernt (enthielt vermutlich Gemälde mit Auferstehungsszene), Inschrift: „J. Jastor fec[it] 1658“; Retabel stand bis zur Sanierung 1985–87 auf einem niedrigen Sockel hinter dem Altar (Predella nicht sichtbar). – Hölzerner Taufe (18. Jh.), runder Schaft; drei volutenförmige Füße; sechsseitiges, kelchförmiges Becken, Wandungen mit geschnitzten Fruchtgehängen verziert; gestufter Deckel mit ovalem Knauf. – Kanzel mit Schalldeckel (wohl um 1800), Wandungen des Kanzelkorbs dreifeldrig gegliedert, bemalt mit Landschaftsmotiven. – Gemälde Beweinung Christi (Kopie). – Ehemalige Ausstattung: Flügelaltar, laut Lagerbuch „eine schlichte Altarwand von elendem Schnitzwerk, welche zwey Flügel hatte und zugeschlagen werden konnte“.15

Orgel

1957 Harmonium vorhanden (aufgestellt im Altarraum). Neue Orgel, erbaut 1967 von Hermann Hillebrand (Altwarmbüchen), 5 I/aP, mechanische Traktur, Schleifladen.

Geläut

Eine LG, f’’ (Bronze, Gj. 1770, Luder Ahlers, Bremen), Inschrift: „Anno 1770 ist diese Glocke umgegossen durch Lueder Ahlers in Bremen. Pastor zu Viselhofde war Carl Iulius Horn aus Verden gebürtig. Der Iurate bei der Capelle Reinke Delvendahl in Wittorf. Soli deo Gloria“ (Allein Gott die Ehre). Zwei SG, I: b’’ (Bronze, Gj. 1887, Firma Weule, Bockenem), Inschrift: „J. F. Weule Bockenem 1887“; II: es’’’ (Bronze, Gj. wohl 1887, wohl Firma Weule, Bockenem), ohne Inschrift.

Friedhof

Bei der Kapelle, ursprünglich Eigentum der KapG Wittorf, mittlerweile Eigentum der Stadt Visselhövede.

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

A 2 Nr. 1564, 1573/04 (Pfarroffizialsachen); D 61 (EphA Rotenburg); E 9 Nr. 1810–1819 (Amt für Bau- und Kunstpflege); S 11a Nr. 7866 (Findbuch PfA).

Literatur

A: Aye/Kronenberg, Taufbecken, S. 223–224, Nr. 314; Dehio, Bremen/Niedersachsen, S. 1382–1383; Heyken, Kirchen I, S. 21–23; Mithoff, Kunstdenkmale V, S. 132; Siebern/Wallmann/Meyer, KD Kr. Verden, Rotenburg, Zeven, S. 182–183.

B: Dieter Brosius: Die Grundherrschaft in der Vogtei Visselhövede im späten Mittelalter Teil 1 in: Rotenburger Schriften 56 (1982), S. 7–35, Teil 2 ebd. 57 (1982), S. 25–73; Klaus Heinzel (Hg.): Visselhövede. Chronik einer Stadt, Horb am Neckar 1999, bes. S. 390–396 und S. 422–425; Stefan Hesse & Kerstin P. Hofmann: Der mehrperiodige Fundplatz Wittorf, Stadt Visselhövede. Vorbericht, in: Archäologische Berichte des Landkreises Rotenburg (Wümme) 13 (2006), S. 91–108; Wolf-Dieter Tempel: Wittorf, Stadt Visselhövede, ein ungewöhnliches Dorf der Zeit Karls des Großen, in: Archäologie | Land | Niedersachsen. 400 000 Jahre Geschichte, hrsg. von Mamoun Fansa, Frank Both und Henning Haßmann (Begleitbuch zur Sonderausstellung Archäologie | Land | Niedersachsen. 25 Jahre Denkmalschutz – 400 000 Jahre Geschichte), Stuttgart 2004, S. 457–460.


Fußnoten

  1. Vgl. Tempel, S. 457 ff.; Hesse & Hoffmann, S. 102 ff. Darüber hinaus wurden nachgewiesen ein Urnenfriedhof (jüngere Bronzezeit bis späte vorrömische Eisenzeit) und eine Befestigung (vorrömische Eisenzeit), vgl. ebd., S. 91 ff.
  2. UB Verden I, Nr. 351, F, 8.
  3. Brosius II, S. 64 f. Vgl. ebd. insgesamt zu den mittelalterlichen Besitzverhältnissen in Wittorf.
  4. UB Verden I, Nr. 656; vgl. auch Heinzel, S. 42 f.
  5. 1958 Personenverkehr zwischen Visselhövede und Rotenburg eingestellt, 1963 Strecke stillgelegt, Gleise zwischen Wittorf und Brockel 1963 demontiert, zwischen Wittorf und Visselhövede 1979.
  6. Heyken, Kirchen, S. 22; Siebern/Wallmann/Meyer, KD Kr. Verden, Rotenburg, Zeven, S. 182.
  7. Heyken, Kirchen I, S. 22.
  8. Heinzel, S. 423.
  9. LkAH, L 5g, Nr. 324 (Visitationen 1938 und 1951).
  10. LkAH, L 5g, Nr. 324 (Visitation 1951); LkAH, B 2 G 9/Wittorf Bd. I, Bl. 8.
  11. LkAH, L 5g, Nr. 324 (Visitation 1951).
  12. LkAH, L 5g, Nr. 324 (Visitation 1963).
  13. KABl. 1963, S. 139.
  14. LkAH, L 5g, Nr. 325 (Visitation 1969); siehe auch LkAH, L 5g, Nr. 324 (Visitation 1963).
  15. Zit. in Siebern/Wallmann/Meyer, KD Kr. Verden, Rotenburg, Zeven, S. 183.