Sprengel Ostfriesland-Ems, KK Emsland-Bentheim | Patrozinium: – | KO: Keine Kirchenordnung

Orts- und Kirchengeschichte

Urkundlich ist das Dorf erstmals als Spinoloa und Spinoloha im Urbar der Abtei Werden erwähnt; die beiden Einträge lassen sich auf das 9./10. Jh. datieren.1 Zudem ist der Ort als Spenela im Heberegister des Klosters Corvey erwähnt, das etwa um 1000 entstand.2 Das Dorf gehörte zum Herrschaftsgebiet der Gf. von Tecklenburg und kam bei einer Teilung des Tecklenburger Besitzes im Jahr 1493 zur Gft. Lingen. Gf. Nicolaus IV. († 1541) übertrug die Gft. Lingen 1526 dem Hzg. von Geldern und erhielt sie als Lehen zurück. 1548 fiel die Grafschaft an Ks. Karl V. († 1558), der sie 1555 seinem Sohn Philipp II. († 1598), Kg. von Spanien, übergab. Von 1597 bis 1605 und erneut ab 1632/33 war die Gft. Lingen im Besitz des Hauses Oranien-Nassau und kam 1702 an Friedrich Wilhelm I. von Preußen. 1808 fiel Spelle zusammen mit der Gft. Lingen an das Ghzm. Berg und war von 1810 bis 1813 Teil des Kaiserreichs Frankreich (Kanton Lingen, Arrondissement Lingen, Département de l’Ems-Supérieur). Ab 1813 erneut kurzzeitig preußisch gehörte Spelle seit 1815 zum Kgr. Hannover und dort seit 1819 zum Amt Lingen. Mit der Annexion des Kgr. Hannover kam Spelle 1866 wiederum an das Kgr. Preußen. Seit Einführung der Kreisverfassung 1885 gehörte Spelle zum Kr. Lingen, seit 1977 zum Lkr. Emsland. 1971 wurden Varenrode und Venhaus eingemeindet; seit 1974 ist Spelle Sitz der gleichnamigen Samtgemeinde. Seit 1879 besitzt Spelle einen Bahnhof (Strecke Rheine–Quakenbrück). Im Jahr 1823 lebten rund 470 Menschen in Spelle, 1900 etwa 510, 1939 rund 875, 1950 knapp 1.270 und 2013 gut 7.835.

Gemeindehaus, Außenansicht, 1980

Gemeindehaus, Außenansicht, 1980

Kirchlich gehörte Spelle seit vorref. Zeit zur Parochie Plantlünne. 1523 soll das Dorf eine eigene Fachwerkkapelle erhalten haben. Nachdem Gf. Konrad von Tecklenburg-Schwerin († 1557) im Jahr 1541 die Herrschaft in der Gft. Lingen übernommen hatte, führte er die Reformation und das luth. Bekenntnis ein. Im Jahr 1543 erließ er eine Kirchenordnung, die gekennzeichnet war von „Vorsicht, Bereitschaft zu Konzession und Kompromißbestimmungen“.3 Während des folgenden Jahrhunderts wechselte die Konfession mehrfach, u. a. verfügte Ks. Karl IV. 1548 eine Rückkehr zum kath. Bekenntnis und 1597 folgte unter dem Haus Oranien-Nassau ein Wechsel zur ref. Lehre.4 Ab 1648 schließlich war die Gft. Lingen ev.-ref., während der Großteil der Bevölkerung beim kath. Bekenntnis blieb. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. entwickelte sich „stillschweigend ein allgemeines Simultaneum“, das jedoch nicht lange Bestand hatte.5 Nach dem Übergang der Gft. Lingen an Preußen erlangten neben den Reformierten schrittweise auch die Katholiken und Lutheraner das Recht der freien Religionsausübung. Seit 1728 bestand in Lingen eine ev.-luth. Gemeinde, deren Pfarrer neben der Stadt auch für die zerstreuten luth. Familien in den Dörfern der Gft. und später des Kr. Lingen zuständig war.6 In Spelle wurde 1826 eine kath. Pfarrei errichtet.7
Mit dem Zuzug Geflüchteter nach Ende des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der ev.-luth. Christ*innen in Stadt und Kr. Lingen stark an: 1939 hatten etwa 3.300 Gemeindeglieder zur KG Lingen gehört, 1946 waren es rund 16.000, von denen etwa 11.000 in den Dörfern des Landkreises lebten.8 In Lingen richtete das LKA Hannover im Herbst 1945 ein Flüchtlingspfarramt ein, das der Ostgeistliche Sup. Paul Kurth (amt. 1945–1948) übernahm.9 Der Kr. Lingen wurde in verschiedene Seelsorgebezirke aufgeteilt, in denen meist Ostgeistliche die pfarramtlichen Aufgaben übernahmen. In Spelle fand 1946 wöchentlich ein ev.-luth. Gottesdienst statt.10 Seit Juni 1954 gehörte Spelle zur KapG Emsbüren, die 1950 gegründet worden war.11 Zum 1. April 1960 erhob das LKA Hannover die KapG Emsbüren zu einer eigenständigen Kirchengemeinde; sie erhielt den Namen „Ev.-luth. KG Leschede-Salzbergen.12
In Spelle erwarb die KG 1964 die alte Schule (erbaut 1909) und baute sie zu einem Gemeindehaus um (später Friedrich-von-Bodelschwingh-Haus). Die Zahl der ev.-luth. Gemeindeglieder in Spelle lag 1965 bei etwa 60.13 Bis Anfang der 1990er Jahre war diese Zahl auf etwa 400 angewachsen, um dann in erster Linie aufgrund des Zuzugs von Spätaussiedlerfamilien aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sprunghaft auf rund 1.400 im Jahr 1997 anzusteigen. Das LKA Hannover gründete daher zum 1. Januar 1997 die eigenständige „Ev.-luth. KG Spelle“. Die gleichzeitig errichtete Pfarrstelle (seit 1999 Dreiviertelstelle) der jungen Gemeinde übernahm P. Konrad Pfannkuche.14 Er war im Jahr zuvor in Spelle ordiniert worden, nicht im kleinen Gemeindehaus, sondern in der kath. St. Johannes-Kirche.15 Neben Spelle selbst gehören auch die luth. Einwohner*innen in Beesten mit Wilsten (bislang KG Lingen) sowie Lünne und Schapen mit Bramhof (bislang von den ref. KG betreut) zum Gemeindegebiet.
Im März 1997 gründete sich ein Bauförderverein für ein ev.-luth. Gemeindezentrum in Spelle, dem auch das kath. Pfarramt und die politische Gemeinde beitraten. Zur Mitfinanzierung des Neubaus verkaufte die KG das alte Gemeindehaus. Am ersten Advent 2000 konnte sie ihre neue Kirche einweihen, 2006 folgte der Bau des Glockenturms. Im Jahr 2018 zählte die KG Spelle rund 1.840 Gemeindeglieder.
Seit März 2012 ist die KG Spelle pfarramtlich verbunden mit den KG Emsbüren-Salzbergen und Schüttorf (Pfarramt Westliches Emsland/Obergrafschaft, zwei Pfarrstellen. Sitz in Salzbergen und Spelle). Zum 1. Januar 2021 kam die KG Bad Bentheim zum verbundenen Pfarramt hinzu (Pfarramt Südliches Emsland/Obergrafschaft, drei Pfarrstellen).

Umfang

Spelle sowie Beesten, Bramhof Lünne, Schapen, Venhaus, Varenrode und Wilsten (Beesten und Wilsten gehörten zuvor zur Kreuz-KG Lingen).16

Aufsichtsbezirk

Mit Gründung der KG 1997 zum KK Emsland-Bentheim.

Kirchenbau

Moderner, achteckiger Zentralbau, ausgerichtet nach Süden, erbaut 1999/2000 (Architekt: Bernd Göcking, Schapen). In der Mitte erhöhter Kirchsaal mit flachgeneigtem Zeltdach, bekrönt mit Kreuz, und querrechteckigen Fensterbändern unterhalb der Traufe (nicht nach Süden); nach Westen, Norden und Osten umgeben Gemeinderäume mit Pultdächern den zentralen Kirchsaal; nach Norden Haupteingang mit Vordach; die seitlichen der drei Südseiten des Kirchsaals mit je drei bodentiefen, gestuften Rechteckfenstern. Rotes Ziegelmauerwerk, Gemeinderäume mit hochrechteckigen Fenstern. Im Innern offener Dachstuhl mit holzverkleideten Deckenflächen, Nordempore; zwei Gemeinderäume können zum Kirchsaal hin geöffnet werden.

Fenster

Buntglasfenster im Altarraum (2018–20, Entwurf: Wolfgang Brinkmann, Spelle), Szenen aus der Offenbarung des Johannes. Buntglasfenster im Dachbereich (2018–20, Entwurf: Wolfgang Brinkmann, Spelle; von Gemeindegliedern in Eigenleistung erstellt, Projekt „Glaswerkstatt“), das himmlische Jerusalem.

Turm

Nordwestlich der Kirche freistehender Glockenturm, erbaut 2006. Achteckige Betonkonstruktion, achtseitiges, flach geneigtes Zeltdach mit Kupferdeckung, bekrönt mit Kreuz und Hahn. Vier Seiten offen (teilweise mit bläulich-transparenten Scheiben), vier Seiten geschlossen; an der Glockenstube tragen die geschlossenen Seiten Kreuze, die sonst offenen Seiten sind mit horizontalen Lamellen versehen.

Ausstattung

Hölzerner Tischaltar (2000). – An der Altarwand Christusfigur (Heinz Heiber, Nürnberg), 2010 übernommen aus der entwidmeten Friedenskirche in Heepen-Kammeratsheide (Bielefeld). – Taufe (Heinz Heiber, Nürnberg), rundes Bronzebecken mit viereckiger Holzeinfassung, 2010 übernommen aus der entwidmeten Friedenskirche in Heepen-Kammeratsheide (Bielefeld). – Niedrige, hölzerne Kanzel mit Bronzerelief einer Taube (Heinz Heiber, Nürnberg), 2010 übernommen aus der entwidmeten Friedenskirche in Heepen-Kammeratsheide (Bielefeld).

Orgel

2002 elektronische Orgel erworben.

Geläut

Vier LG (alle Bronze, Gj. 2006, Albert Bachert, Karlsruhe), I: des’’, Inschrift: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid (Mt. 11,28)“; II: f’’, Inschrift: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! (Joh. 7,37)“; III: as’’, Inschrift: „Kommt, denn es ist alles bereit! (Lk. 14,17)“; IV: b’’, Inschrift: „Lasst die Kinder zu mir kommen! (Mk. 10,14)“.

Friedhof

Kein gemeindeeigener Friedhof.

Landeskirchliches Archiv Hannover (LkAH)

E 9 Nr. 512 (AfBuK); S 09 rep Nr. 2055 (Presseausschnittsammlung).

Literatur

A: Stieglitz, Handbuch, S. 388–389.
B: Helmut H. Boyer: Spelle. Vom Gestern zum Heute und Morgen. Heimatkunde eines Dorfes, Lingen (Ems) 1965; Walter Kruse: Geschichte der lutherischen Kirchengemeinde zu Lingen-Ems. Aus Anlaß des 225 jähr. Bestehens der Gemeinde zusammengestellt aus den Akten des luth. Pfarrbüros in Lingen, Lingen 1953.


Fußnoten

  1. Kötzschke, Urbare Werden, S. 65 und S. 66; Casemir/Ohainski, Niedersächsische Orte, S. 43. Zur Geschichte Spelles vgl. Boyer, S. 202 ff.
  2. Kaminsky, Reichsabtei Corvey, S. 203 (Heberegister, § XI, Z 7–8). Casemir/Ohainski, Niedersächsische Orte, S. 43.
  3. Wilfried Ehbrecht (Hg.): Lingen. 975–1975. Zur Genese eines Stadtprofils, Lingen (Ems) 1975, S. 67. Sehling, Kirchenordnungen 16. Jh. Bd. 22, S. 221 ff. [Digitalisat].
  4. Vgl. dazu Remling, Konfessionswandel, S. 125 ff.
  5. Schriever I, S. 244 f.
  6. Goldschmidt, Lingen, S. 635 f. (Nr. 70) [Digitalisat]. Vgl. auch ebd., S. 284 ff [Digitalisat].
  7. Stieglitz, Handbuch, S. 388. Zur Entwicklung der kath. Gemeinde vgl. ausführlich Boyer, S. 283 ff.
  8. Kruse, S. 81; LkAH, L 5f, Nr. 5 (Visitation 1946).
  9. LkAH, L 5f, Nr. 5 (Visitation 1946). Kruse, S. 77 f.
  10. LkAH, L 5f, Nr. 5 (Visitation 1946).
  11. KABl. 1954, S. 66; KABl. 1950, S. 94.
  12. KABl. 1960, S. 66.
  13. Boyer, S. 88.
  14. KABl. 1997, S. 9; KABl. 1999, S. 91.
  15. LkAH, S 09 rep, Nr. 2055.
  16. KABl. 1997, S. 9.